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Auf den Spuren von Käthe Kollwitz in Berlin anlässlich ihres 150. Geburtstages

In diesem Jahr wird in verschiedenen Veranstaltungen und zwei Ausstellungen in Berlin des 150. Geburtstages von Käthe Kollwitz gedacht.

Von Volkhard Böhm

Am letzten Augustsonntag diesen Jahres, einem sonnigen, heißen Tag besuche ich Käthe Kollwitz auf dem seit 1881 angelegten städtischen Zentralfriedhof Friedrichsfelde im Berliner Bezirk Lichtenberg. Weniger bekannt ist, dass auf dieser auch Sozialistenfriedhof genannten Begräbnisstätte neben sozialdemokratischen und kommunistischen Funktionären, Antifaschisten, Funktionären des real existierenden Sozialismus und vielen unbekannten Bürgern Berlins auch eine ganze Reihe KünstlerInnen begraben liegen.

Am 8. Juli 1867 wurde sie als Käthe Schmidt in Königsberg, dem heutigen Kaliningrad, geboren. Früh begeisterte sie sich für die bildende Kunst. Folgerichtig ging sie von 1886 bis 1887 als Schülerin an die Künstlerinnenschule des Vereins Berliner Künstlerinnen nach Berlin. Dieser Verein ist die älteste heute noch existierende Vereinigung bildender Künstlerinnen in Deutschland. In diesem Jahr begeht der Verein das 150. Jubiläum seiner Gründung. 1868 wurde die Zeichen- und Malschule auf akademischem Niveau im Seitenflügel der Potsdamer Straße 98 A gegründet. Das war notwendig, durften doch Frauen, die sogenannten „Malweiber“ noch bis in das 20. Jahrhundert hinein nicht an Kunstakademien studieren.

Das Haus, in dem seit 2009 die „Alexander und Renata Camaro Stiftung“ wirkt, wurde 1893 im Auftrag des Vereins der Berliner Künstlerinnen und Kunstfreundinnen (VdBK) und des Viktoria-Lyzeums für die akademische Weiterbildung von Frauen erbaut und bis 1911 genutzt. Vom 26. November 2016 bis zum 24. März diesen Jahres zeigte dort der VdBK den ersten Teil seiner Ausstellungsreihe „FORTSETZUNG FOLGT!“. Ausgestellt waren eine Reihe von Werken bekannter und weniger bekannter Künstlerinnen, die an diesem Ort bis 1945 gelernt und gelehrt hatten.

Es war für mich ein eigenartiges Gefühl, als ich an einem Märznachmittag diese Ausstellung besuchte und in dem großen vom Oberlicht durchfluteten ehemaligen Akt- und Zeichensaal stand. Ringsum hingen die Werke der Künstlerinnen, darunter von Käthe Kollwitz und Paula Modersohn-Becker (1876–1907), die hier elf Jahre nach jener ihre Ausbildung begann. Man konnte sich die Staffeleien vorstellen, die zeichnenden Künstlerinnen dahinter, das leise Rascheln von Papier und das kratzende Geräusch der Zeichenstifte. Diese Malschule hatte schnell einen sehr guten Ruf. Dazu trug später auch Käthe Kollwitz bei. Von 1898 bis 1903 hatte sie hier einen Lehrauftrag in Graphik und Zeichnen.

Ihr Studium hatte sie von 1888 bis 1890 an der Münchener Künstlerinnenschule fortgesetzt, 1891 heiratete sie den Arzt Karl Kollwitz und gemeinsam zogen sie in den Berliner Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg, in ein Eckhaus der damaligen Weißenburger Straße direkt am damaligen Wörther Platz (Straße und Platz sind seit 1947 nach ihr benannt). Hier lebte sie mehr als 52 Jahre bis 1943. In den letzten Kriegstagen wurde das Haus fast vollständig zerstört. Wie so vieles in diesem Land ging damit auch die Lebenswelt der Käthe Kollwitz, das Inventar, die noch eingelagerten Kunstwerke, verloren. Inzwischen ist das Eckgrundstück neu bebaut. An dem Neubau, heute Kollwitzstraße 56 A, verweist eine große Schautafel auf die frühere Bewohnerin und das Käthe-Kollwitz-Museum in Charlottenburg.

1892 wurde der Sohn Hans geboren. Im folgenden Jahr hatte sie mit dem graphischen Zyklus „Ein Weberaufstand“, der bis 1898 entstand, ihren künstlerischen Durchbruch. Er wurde angeregt durch den Besuch der Uraufführung von Gerhard Hauptmanns „Die Weber“. Dieser Zyklus und die folgenden Werke begründen den Ruf der Künstlerin als einzigartige Darstellerin von Leid und Mitleiden des Menschen, in ihrer Hinwendung zu den Ärmsten und Drangsaliertesten der Gesellschaft. Ohne jegliches Pathos mit minimalen Mitteln stellte sie Ihre Themen dar. An der Hinwendung zu diesem, ihrem Thema hat sicher die Tätigkeit ihres Mannes, Armenarzt in einem proletarischen Viertel, viel zu tun. In die Zeit der Entstehung des genannten Bildzyklusses fällt auch die Geburt ihres zweiten Sohnes, Peter, 1898.

1914 erfuhr ihr Leben eine entscheidende Zäsur. Beide Söhne meldeten sich als Kriegsfreiwillige. Sie fühlten sich verpflichtet, das Vaterland zu retten. Während Karl Kollwitz, der Vater, strikt gegen den Krieg war, nahm Käthe Kollwitz eine ambivalente Haltung ein. Der nationalistische Taumel, den das Land erfasst hatte, ist auch an ihr nicht spurlos vorübergegangen und so stützte sie die Söhne in ihrer Entscheidung.

Als Peter mit 18 Jahren schon am zweiten Tag als Kriegsfreiwilliger in Flandern fiel, war sie bis ins Mark erschüttert und wurde nun auch zu der Künstlerin, die sich vehement und mit einer beeindruckenden Ausdrucksstärke gegen Krieg und jegliche Gewalt wendete.

1937 bis 1938 inspirierte sie der sinnlose Tod des Sohnes zu einer Pieta-Darstellung. Die Bronze stellt eine Mutter mit ihrem toten Sohn dar, der in ihrem Schoß liegt. „Ich arbeite an der kleinen Plastik, die hervorgegangen ist aus dem plastischen Versuch, den alten Menschen zu machen. Es ist nun so etwas wie eine Pieta geworden. Die Mutter sitzt und hat den toten Sohn zwischen ihren Knien im Schoß liegen. Es ist nicht mehr Schmerz, sondern Nachsinnen.“ (Tagebücher, 22. Oktober 1937). Nachsinnen darüber, „dass der Sohn nicht angenommen wurde von den Menschen. Sie ist eine alte einsame und dunkel nachsinnende Frau.“ (Tagebücher, Dezember 1939).

Helmut Kohl, damals noch Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, sorgte 1993 dafür, dass diese Figurengruppe in einer vergrößerten Fassung im rekonstruierten Innenraum von Schinkels Neuer Wache in Berlin Unter den Linden aufgestellt wurde. Vor der Skulptur „Mutter mit totem Sohn“ von Käthe Kollwitz, auch Pieta genannt, ist der Schriftzug „Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“ in den Boden eingelassen. Die Urnen des unbekannten Widerstandskämpfers und des unbekannten Soldaten befinden sich unter der Gedenkplatte aus schwarzem Granit. Lebens- und Schaffensmotto der Kollwitz hätten sinnfälliger nicht werden können.

Als sie 1920 den soeben erschienenen Roman „Die echten Sedemunds“ ihres Freundes und Künstlerkollegen Ernst Barlach (1870–1838) gelesen hatte, vermerkte sie: „Ein tief neidisches Empfinden, dass Barlach so viel stärker ist als ich.“ Dieser hätte wohl über ihr Werk das Gleiche gesagt. Im Empfinden für das Leid und Erleiden sind sie zutiefst verbunden: Barlach eher in der Darstellung eines bäuerlichen Menschentypus, die Kollwitz eher eines plebejischen Typus. Beide verehrten einander. Barlach hatte seiner Skulptur „Schwebender Engel“ von 1927 im Güstrower Dom das Gesicht von Käthe Kollwitz gegeben. Sie stand selbstbewusst, obwohl inzwischen genauso als entartet verfemt und mit dem nationalsozialistischen Bann belegt wie er, bei seiner Beerdigung 1938 an seinem Grab.

Am 22. April 1945 starb sie, wenige Tage vor Ende des Krieges, in Moritzburg bei Dresden. Sie wurde im Familiengrab in Friedrichsfelde beigesetzt, neben Bruder Konrad Schmidt und dessen Frau, dem Mann ihrer jüngeren Schwester Georg Stern (1867–1934) und ihrem eigenen Mann, der bereits 1940 verstorben war. Das Bronzerelief für das Grab hatte sie 1936 geschaffen, angeregt von dem Goethewort aus dem „West-östlichen Divan“ „Ruht im Frieden seiner Hände“. Das Grab befindet sich am Ende der Künstlergräber links des Hauptweges. Auf dem Grab davor ist einer ihrer Freunde, der Maler Otto Nagel (1894–1976) mit seiner Frau bestattet. Schräg gegenüber ruht der fast vergessene jüdische Graphiker Leo Haas (1901–1983), der die Gräuel der Konzentrationslager überlebte und dort zu der Gruppe der „Maler von Theresienstadt“ gehörte. Vor allem seine Zeichnungen und Graphiken aus dieser Zeit haben viel Gemeinsames mit der Sprachgewalt des Werkes der Kollwitz.

Ende der 1990er Jahre schenkte mir Walter Graetz, der langjährige Leiter der Druckerei Graetz in der Berliner Auguststraße 26 ein Reprint eines Plakates von Käthe Kollwitz. 1906 hatte sie dieses Plakat für die „Deutsche Heimarbeit Ausstellung“ bei Graetz auf den Stein gezeichnet. Walter Graetz’ Großvater, Rudolph Graetz, hatte 1898 die „Lithographie, Buch- und Steindruckerei“ eingerichtet, die sich bald einen Namen mit ihren hochwertigen Drucken machte. Vor allem in der DDR ließen hier viele KünstlerInnen ihre originalen Offsetgraphiken und Plakate drucken. Auch Käthe Kollwitz hatte hier viele ihrer Plakate drucken lassen.

Bevor ich an diesem Augusttag den Friedhof verlasse, besuche ich noch die Gräber der „Sozialisten“. Dort liegt auch Karl Liebknecht. Erschüttert von dessen Ermordung widmete Käthe Kollwitz ihm eine Gedenkgraphik. Diese ist ein schönes Beispiel für die intensive aber auch konsequente Arbeitsweise der Künstlerin. Die Ausführungen als Radierung und Lithographie verwirft sie im Schaffensprozess. Erst der Holzschnitt erreicht eine Wirkung, die ihn über ein reines Gedenkblatt zur Darstellung tiefster Trauer und intensivster Mahnung erhebt.

Unmittelbar nach dem Krieg wurden ihre Persönlichkeit und ihr Werk gewürdigt. Die Straße, in der sie so lange gelebt hat, und der Platz, an dem ihr Wohnhaus stand, wurden nach ihr benannt. 1961 wurde dann das von ihrem Freund, dem Bildhauer Gustav Seitz, geschaffene Denkmal (1958) auf dem Platz aufgestellt. Sie sitzt still da, auf ihrem Sockel, in die Ferne schauend, die aufgestellte Zeichenmappe mit der linken Hand haltend, drumherum das Grün der Bäume, davor die spielenden Kinder auf dem Spielplatz. Und hin und wieder klettert eines der Kinder zu ihr hoch oder wird von der Mutter der Kollwitz hinaufgereicht.

Zwei Ausstellungen sind zu empfehlen (Die Neue Wache, Unter den Linden, ist leider z. Zt. wegen Bauarbeiten nicht zugänglich.):

  • „Käthe Kollwitz und Berlin“, noch bis 24. September 2017 in der Galerie Parterre, 10405 Berlin, Danziger Str. 101, berlin.de/ba-pankow/kunstundkultur; in dieser Ausstellung sind v. a. Werke aus dem Käthe-Kollwitz-Museum Köln zu sehen, der umfangreiche Katalog erweitert mit seinen informativen, z. T. sehr persönlich gehaltenen Beiträgen die Sicht auf Käthe Kollwitz.
  • „Käthe Kollwitz und ihre Freunde“, noch bis zum 15. Oktober 2017, Käthe-Kollwitz-Museum, 10719 Berlin, Fasanenstr. 24, kaethe-kollwitz.de; eine sehenswerte Ausstellung, z. T. mit erstmalig ausgestellten Werken aus den Sammlungen von Freunden.

Barbara Anna Husar: Neue Druckgrafiken

Barbara Husar zeigt neue Druckgrafiken in zwei deutschen Galerien.

Von Thomas König

Die österreichische Künstlerin Barbara Husar geht druckkünstlerisch ihren eigenen Weg. Und zwar benutzt sie unterschiedlichste Stempel, also kleine Hochdruckformen, die von ihr auf den Druckträger, meist Papier, händisch aufgetragen werden. Mit Stempeln, die sowohl figural als auch rein schriftlich ausgeformt sind, arbeitet sie seit 2007. Derzeit verfügt Barbara Husar über rund 1.680 verschiedener Stempel. Es ist ihr Mischpult, sie nennt es auch ihre analoge Festplatte, worin sie alle wesentlichen Aspekte rund um ihr Kernthema Reizweiterleitung speichert und neu verknüpft.

Barbara Husar hat jahrzehntelang immer wieder in der Wüste im Sinai gelebt, wo sie eine Ziegenherde besitzt, die von Beduininnen gehütet wird. Die Erfahrungen in der Wüste haben sie geprägt, sowohl durch den sternenklaren Himmel in der kalten Nacht kosmisch spirituell als auch bestens geerdet durch die Teilnahme am archaischen Leben der Beduinen. Ihr Atelier befindet sich seit einem Jahr im obersten Stockwerk eines turmähnlichen Gewerbegebäudes in Wien, auf dessen offener Freiraumfläche transformiert sie viele wesentliche Erfahrungen aus dem einfachen Leben in der Wüste mitten in die Großstadt.

Für die 2007 gegründete Venet-Haus Galerie in Neu-Ulm, Bayern, die seit 2013 unter einer neuen Führung steht, hat Barbara Husar die dreiteilige Druckgrafikedition „HOCHFREQUENZ § Münster“ geschaffen. Der Editionstitel bezieht sich auf die kosmisch-sphärische Strahlung, die sich in der Spitze des Turms konzentriert und von dort über das Bauwerk des Münsters mit der Erde verbunden wird. Es handelt sich dabei um drei verschiedene historische Ansichten des Ulmer Münsters, auf Bütten reproduziert, die jeweils von der Künstlerin händisch mit Farbe (Tusche bzw. Acryl) koloriert und mit ca. fünf Stempeldrucken versehen wurden. Auf den Passepartouts, in denen sich die Blätter befinden, sind jeweils die Titel der drei Sujets aufgestempelt. „HOCHFREQUENZ“ mit dem Kopf von Marilyn Monroe, dem allerersten Stempel von Barbara Husar, gekrönt mit einem Euter, „VIBRATION im Inneren sowie im Äußeren der Raumkrümmung“ mit den Libellenflügeln am Turm, einem Insekt von dem sich zwei Arten aus der Triaszeit bis heute erhalten haben, und „WELTEN IM DREHMOMENT“ mit einem Raumschiff sowie zwei an Fritteusen wie an Fallschirmen schwebende Elfen ohne Flügel. Bei den Sujets „HOCHFREQUENZ“ und „WELTEN IM DREHMOMENT“ wurde jeweils zusätzlich auf der Vertikalen des Turms eine geometrische Konstruktion mit einer zentrischen Sphäre aus Pentagonen platziert.

Da die Blätter in Handarbeit bearbeitet wurden, sind sie unterschiedlich und daher voneinander geringfügig abweichende Originale. Die Auflage pro Sujet beträgt jeweils fünf arabisch nummerierte Exemplare dazu zwei e.d.e und ein e.d.a. Die Größe der Arbeiten einschließlich Passepartout, in das sie fix montiert sind beträgt 30 x 40 cm. Sämtliche Blätter sind bis ins Passepartout hineinragend signiert. In der Ausstellung werden auch zugehörige Entwurfsskizzen und weitere Variationen gezeigt.

Die Ausstellung „HOCHFREQUENZ § Münster“ findet in der Venet-Haus Galerie, Bahnhofstraße 41, 89231 Neu-Ulm, vom 13. Oktober bis zum 12. November 2016 statt. www.galerie-im-venet-haus.de

Vom 15. Oktober bis 12. November 2016, also fast gleichzeitig, werden in der Galerie Michael Schultz, Mommsenstraße 34, 10629 Berlin, Arbeiten der Künstlerin unter dem Titel „Avantgarde der Teilchenbeschleuniger“ zu sehen sein. www.schultzberlin.com

Hommage an Gerenot Richter – Werkschau in 6 Kapiteln

Hommage an Gerenot Richter

Eine Werkschau in 6 Kapiteln

„Werkschau in 6 Kapiteln“ nennen die Veranstalter eine Hommage an den Berliner Graphiker Gerenot Richter anlässlich seines 90. Geburtstages und 25. Todestages in diesem Jahr. Die Ausstellungsreihe wird in sechs Galerien in und um Berlin vom Mai dieses Jahres bis zum April nächsten Jahres gezeigt. Sie folgt keinem chronologischen Prinzip, sondern ist nach Werkgruppen geordnet. Von Volkhard Böhm weiter lesen

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