Die Ausstellung „Hinter den Pfaden“ zeigt noch bis zum 29.10.2016 Arbeiten der Leipziger Künstlerin aus den letzten beiden Jahren. In einer Ausstellung mit Ölbildern und Grafiken von Gabriele Sperlich im Westphalschen Haus Markkleeberg sprach ich über ihre Bilder als „Traumlandschaften“. Die Titel ihrer Bilder („Treibgut“, „Hinter den Pfaden“, „Selbstgespräch“, „Schwebend“) geben uns einen Eindruck von Momenten zwischen verschiedenen Zuständen. Veränderungen, die vielleicht gerade stattgefunden haben, erhofft oder befürchtet werden oder unmittelbar bevorstehen…
Gabriele Sperlichs Arbeiten sind m. E. Bilder einer Suche nach Verstehen und nach Verständigung. Zunächst geschieht diese Verständigung der Künstlerin mit sich selbst: es geht ihr um das Ordnen des alltäglich Erfahrenen – des hinzu Gekommenen wie des Verlorenen. Es geht des Weiteren auch um eine Art täglicher Verteidigung: nämlich der des kreativen Prozesses, dessen Ergebnis sich einer „Messung als Mehrwert“ zunächst in der Regel entzieht.
Doch die Suche nach Verständigung endet natürlich nicht hier, sondern ist parallel auch eine nonverbale Ansprache an den imaginär Anderen, also das betrachtende Subjekt. Dafür sprechen die reihenartig wiederkehrenden Titel und auch die Bildinhalte selbst: das Gebunden- und Verbunden-Sein in verschiedensten Beziehungen, um es ganz allgemein zu fassen.
Der künstlerisch antreibende Aspekt ist bei Gabriele Sperlich einer der Selbstvergewisserung, meine ich – im Sinne eines Modells, in welches man zunächst aus einem inneren und vielleicht unbewussten Drang eintauchte, das man aber als Künstler ab einem bestimmten Punkt zunehmend bewusst lebt. Zunächst ist ja der Sinn der Selbstvergewisserung, ein Stück „innere Unabhängigkeit“ zu erlangen – und sei es auch nur die Illusion, das eigene Tun bewusster bestimmen und damit verbundene Veränderungen einordnen zu können. Mit und durch die künstlerische Arbeit stellt man zugleich das „Modell der Selbstvergewisserung“ den anderen, den Betrachtenden, zur Verfügung und gewährt so Einblicke in eine sehr persönliche Art der Auseinandersetzung. Gabriele Sperlich führt diese auf eine Weise, mit der sie ihre Bilder weit hinter den äußeren Erscheinungen sucht.
Vor ungefähr 100 Jahren entstand die Kunstrichtung des Surrealismus. Was damals als „überhöht“ und „absurd, fremd, fantastisch“ in die Texte, Bilder und Filme einzog, ist also über mehrere Generationen längst Bildgewohnheit geworden. Somit ist auch die Frage nach einer „realistischen“, im Sinne von „erkennbarer“ Bildkunst eine wirklich überholte Frage. Die Frage, was man im künstlerischen Sinne als real abbildend, als „wirklich“ empfindet, ist eigentlich nur noch individuell zu stellen. Wenn ich mich heute in einer bestimmten Bildwelt „zu Hause“ fühle, mich in ihr in irgendeiner Weise wiederfinde – produzierend oder rezipierend – dann ist es leichter denn je, mir diese Bildwelt zu vervielfachen, sie zu animieren, geradezu zu verlebendigen. Künstlerische Bilder zu schaffen ist allerdings ohne die Fähigkeit der Imagination nicht denkbar, sieht man vom reinen Kopieren ab. In diese Imagination fließt alles ein, was als Bildzeichen für den Künstler wahrnehmbar ist. Wahrnehmen bedeutet aber auswählen – und auszuwählen ist umso schwieriger, je mehr es gibt. Und hier sprechen wir nun schon gewohnheitsmäßig von „Bilder-Strömen“… Diese freilich nur die Zusammenhänge antippenden Überlegungen scheinen mir wichtig, will man sich der Bildwelt von Gabriele Sperlich nähern. Man sollte eine Vorstellung davon entwickeln, dass die Elemente in ihren Bildern (z.B. die Schlingen, die sich aufschwingenden Linien und Schweifformen oder die transparenten Ellipsenformen) in sich empfunden und gedacht sind. (Mit einem Blick, der nach erkennbaren Formen der Alltagswelt sucht, kommt man hier eventuell nicht weit.)
Doch wenn man sich vergegenwärtigt, dass jede der Formen in ein Material (Holz oder Linoleum) hineingegraben wurde, dass das Messer dabei den Bildraum in verschiedenste Richtung durchschneidet, dann kann man die ganz und gar „reale Selbstverständlichkeit“ einer sich formenden Linie oder Fläche ganz anders erfassen. Und vergleicht man ihre Grafiken der letzten beiden Jahre mit den früheren, dann meine ich, dass Gabriele Sperlich ihre Formen nun etwas anders und den Bildraum damit klarer strukturierend einsetzt. Waren es in früheren Bildern häufiger netzartig verwobene, sich überlagernde Strukturen, finden wir in vielen ihrer neueren Arbeiten größere freie Räume, die in ihren Farbwerten strahlen und den Bildern Raum, Tiefe und Weite geben, zugleich das Schwebende der Figuren betonen.
Ich sage bewusst „Figur“, denn um diese kreist Gabriele Sperlich fast in jedem ihrer Bilder. Manch einem mag das Erkennen solcher hier vielleicht fern liegen – auch das hat natürlich mit den eingangs erwähnten Bild- und Sehgewohnheiten zu tun. Die Figur ist bei Gabriele Sperlich zum einen universell zu verstehen – in dem Sinn, dass sie bildnerisch in Beziehung gesetzt wird und diese bildnerische Verortung einer inneren Suche nach Klärung entspricht. Zum anderen ist die Figur auch in der äußerlichen Wahrnehmbarkeit von einer konkreten individuellen Zuordnung befreit – sie wird assoziativ behandelt und kann auch nur assoziativ erfasst werden. Wie weit Gabriele Sperlich dabei mitunter geht, lässt das Bild „Hervortreten“ erkennen. Hier tritt uns eine Figur genauso schlicht wie magisch zugleich aus dem Bildraum entgegen – die verblüffende und „erhellende“ Wirkung entsteht ganz allein aus der Art des Druckens: nämlich dass die Fläche der Figur nicht ganz ausgedruckt hat, wir hier die Maserung des Holzes sehen, was der Figur Verletzlichkeit und Sprödigkeit verleiht. Und weil es zugleich die hellste Stelle im Bild bleibt, bekommt diese Figur etwas aus sich Strahlendes und verleiht dem Bild etwas Magisches, was aber ungekünstelt und schlicht formuliert wurde. Dabei spielt es für die Künstlerin keine Rolle, wie diese Figur aussieht. Und mit dieser Art von Unbestimmtheit gelingt es ihr, etwas tiefer Liegendes sichtbar und erfassbar zu machen.
Ihre Blätter entstehen nicht aus einer raffinierten Vorabplanung – soviel meine ich zu wissen. In ihren Blättern erleben wir insofern etwas Besonderes, als wir hier auf eine Art „Denken und Empfinden in Farbe“ treffen. Mit jeder neuen Farbe taucht die Künstlerin in eine andere Nuance des Bild- und Denkprozesses ein. Fragt man sie nach der Anzahl der Druckprozesse, also wie oft sie das Holz oder Linoleum neu eingefärbt hat, so weiß sie es am Ende oft selbst nur noch zu schätzen: „vielleicht zwölf Mal“ oder „mindestens vierzehn Mal“. Um wenigstens kleine Hinweise auf ihr Arbeit mit der Farbe zu geben, sei darauf verwiesen, dass sie die Möglichkeiten der Druckfarbe, lasierend (also durchscheinend) oder deckend (also abdeckend) zu sein, mit großer Perfektion ausnutzt. Das bedeutet, dass sie zum einen die Farben im Bild von Druckgang zu Druckgang weiter verändert, indem sie immer neue Pigmente hinzugibt – auf diese Weise kann sie ein helles kühles Rot etwa im Laufe von mehreren Druckgängen zu einem Orange, zu einem Englischrot oder später noch zu einem tiefroten Braunviolett werden lassen. Zum anderen nutzt sie die deckende Wirkung, in dem sie Farben mit einem ganz anderen Ton (bspw. hellblau über dunkelrot) überdruckt, ohne dass diese noch durchscheinen. Um die Komplexität des Ganzen erfassen zu können, muss man nun noch einen weiteren Aspekt ihrer Arbeitsweise bedenken – nämlich das Drucken mit verlorener Form. Und auch hierin ist sie eine Meisterin! Die meisten der unglaublich vielschichtigen Bilder, die Sie in der Ausstellung sehen, sind mit dem Prinzip der verlorenen Form gedruckt. Das heißt, Gabriele Sperlich druckt immer und immer wieder von einem, maximal zwei Druckstöcken und verändert dabei die Platte durch verschieden weitgreifende Einschnitte ins Bild – dabei gibt es aber nur eine Richtung, die des Wegschneidens. Ein Hinzugeben würde immer eine neue, weitere Druckform benötigen.
Besonders ist hier also das Zusammenwirken von beidem – dem Arbeiten mit verlorener Form und zugleich dieser sich durch die Farben bewegenden Arbeitsweise. Dabei befindet sie sich in einem ganz eigenen Rhythmus aus intuitiv suchenden Phasen und reflektiert agierenden Phasen.
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Gabriele Sperlich: „Begrenzt“, 50 x 40 cm, Farbholzschnitt
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Gabriele Sperlich: „Vor den Wassern I“, 43 x 60 cm, Farbholzschnitt, 2015
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Gabriele Sperlich: „Vor den Wassern II“, 43 x 60 cm, Farbholzschnitt, 2015
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