Kategorien Archiv: Zur zeitgenössischen Druckgraphik

Erich Steininger: Geschichten und Harmonien vom Holz

Zu Erich Steiningers Ausstellung im Niederösterreichischen Landesmuseum 2010. Von Philipp Maurer

Ein Nachtrag als Vorspruch: Erich Steininger ist am 4. November 2015 im Alter von 76 Jahren verstorben. Er wurde in seiner Heimatgemeinde Kirchbach beigesetzt. Sein Werk lebt weiter.

Das Niederösterreichische Landesmuseum verleiht mit der großen Retrospektive dem in sich stimmigen und überzeugenden Weltentwurf Erich Steiningers das Qualitätszertifikat der Museumsreife. Die Ausstellung in St.Pölten erzählt die Geschichte eines langen Künstlerlebens, das sich so sehr dem Werk eingeprägt hat, dass es ganz im Werk aufgeht und gar nicht mehr als eigenes neben dem Werk zu existieren scheint. Eine Biographie Erich Steiningers zu erzählen, heißt daher, seine Werkgeschichte zu erzählen.
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Vom Werden und Vergehen des Um:Druck – Fast ein Nachruf

Nach 28 Ausgaben des Um:Druck, nach sieben vollen Jahrgängen in neun Jahren, stellt der Um:Druck sein Erscheinen als gedruckte Zeitschrift ein. Wie der Um:Druck entstand, warum er nun aufhört und wie es mit Publikationen über Druckgraphik weitergehen könnte, erfragte der Um:Druck-Redakteur und Druckgraphiker Georg Lebzelter im „Nachruf-Interview“ mit den Um:Druck-MacherInnen Leonore und Philipp Maurer.

Georg Lebzelter: Wer sind die beiden Maurers, die seit nunmehr neun Jahren den Um:Druck machen? Über Philipp findet man unter www.philippmaurer.at seine Biographie, die Laudatio Gerda Fassels zur Verleihung des Professortitels, seine Bücher. Viele seiner Artikel und einige von dir, Leonore, sind unter www.umdruck.at zugänglich. Aber über dich, Leonore, findet man darüber hinaus nichts.

Leonore Maurer: Dass man über mich nichts findet, ist mir recht. Und seit drei Monaten ist Philipp auch auf Facebook.

Philipp Maurer: Michael Schneider hat mich überzeugt, eine Facebook-Seite anzulegen, um unsere Projekte, die dem Um:Druck folgen sollen, dort an und unter die Leut zu bringen. In der Facebook-Gruppe Um:Druck gibt’s auch eine aktuelle Arbeit von dir, Georg, die zur Zeit in der Triennale von Trois Rivières in Kanada hängt, zu bewundern!

Georg Lebzelter: Ich habe alle bisher erschienenen 27 Um:Drucke durchgeblättert und deine Editorials gelesen. In Um:Druck 4 schreibst du von „zwei Menschen, die über Druckgraphik Mitteilungen machen, für Druckgraphik begeistern wollen und die an Druckgraphik Spaß haben“. Dort war das zwar auf Andreas Stalzer und Philipp Maurer bezogen, gilt aber genau so für Leonore und Philipp Maurer. Woher kommt diese Liebe zur Druckgraphik, diese „Druckgraphophilie“, die du im Editorial zur Nummer 13 ansprichst?

Philipp Maurer: Das hat in der Kleinen Galerie in der Neudeggergasse angefangen, deren Direktor ich 1986 geworden bin und für die damals noch das vernichtende Urteil Gerhard Habartas, dass sie sich durch „die Unverbindlichkeit der Beliebigkeit“ auszeichne, galt.1 Damals haben mir Wojciech Krzywobłocki, Marek Łaczynski, Stoimen Stoilov, – Künstler aus Ländern des Realen Sozialismus, wo man Druckgraphik sehr hoch schätzte, die in Wien eine Galerie suchten –, gezeigt, dass Druckgraphik spannend ist. Und dass das gedruckte Bild künstlerische Botschaften ausstrahlt, die politisch wirken wollen, dass es über das Spontane, Unmittelbare der Zeichnung hinausgeht, weil die technische Herstellung die Reflexion befördert, durch die der Künstler seine Aussage präzisiert, …

Leonore Maurer:  … über die man dann reden kann im Gegensatz zum Spontanen, das man nicht diskutieren durfte, weil es ja aus dem Bauch kam, …

Philipp Maurer: … dass Druckgraphik ein technischer, handwerklicher Prozess ist, den man intuitiv – das heißt rational erlernt – beherrschen muss. Das hat uns gefallen. Und als Zweites hat uns die Geschichte des gedruckten Bildes als Diskussions- und Agitationsbild interessiert. Das hat mit unserer politischen Geschichte zu tun. Gerne zitiere ich Dieter Schrage: „Schimpft mich ruhig einen 68er!“2 Und drittens konnte man volksbildnerisch – die Kleine Galerie gehörte zur Wiener Volksbildung – ausgehend von den technisch-handwerklichen Qualitäten den geistigen Gehalt eines Blattes gut vermitteln. Und viertens spielt das Drucken in der Geschichte der Arbeiterbewegung eine wichtige Rolle.

Georg Lebzelter: Diese Ideen musstest du in ein künstlerisches Galerie-Programm umsetzen. Wie reagierten die KünstlerInnen auf deine Ideen?

Philipp Maurer: Bald lernte ich gute DruckgraphikerInnen wie Wolfgang Buchta, Tonia Kos, Henriette Leinfellner, Thomas Nemec, Michael Schneider, Veronika Steiner kennen, die die Möglichkeit sahen, mit mir einen Ort der Druckgraphik aufzubauen. Unsere erste Mappe, „My Choice ’89“, war kein finanzieller Erfolg, zeigte aber den Weg.

Leonore Maurer: Uns hat an der Druckgraphik fasziniert, dass wir es uns leisten konnten, selbst zu sammeln. Wir fanden Blätter, die technisch spannend waren und eine politische Dimension hatten, …

Philipp Maurer: … zum Beispiel die antifaschistischen und oftmals zynischen, witzigen Radierungen von Thomas Nemec oder die Zeichnungen von Spitzer. Auch in Jugoslawien und Bulgarien, wo wir oft unterwegs waren, haben wir viel gekauft.

Leonore Maurer: Dort haben wir Jožef Muhovič, heute Professor für Ästhetik an der Kunstakademie Ljubljana, kennengelernt, der uns viel über Druckgraphik gezeigt und im Um:Druck theoretisch anspruchsvolle Artikel publiziert hat.

Philipp Maurer: Ich war in den 1990er und 2000er Jahren Mitglied internationaler Jurys von Biennalen und habe immer einen „Ankaufspreis der Kleinen Galerie für realistische Kunst“ gestiftet – als PR für politisch engagierte Druckgraphik. Das Preisgeld stammte selbstverständlich aus meiner Tasche.

Georg Lebzelter: Druckgraphik war nach dem Boom in den 1960ern, als hohe Auflagen für einzelne Künstler ein erfolgreiches Geschäftsmodell waren, in den 1980er Jahren diskreditiert.

Philipp Maurer: In den 1980er Jahren war der Boom völlig vorbei und die Reputation der Druckgraphik am Tiefpunkt: „Des is ja nur a Druck“, sagte man. Man liebte das „Original“. Ich spottete: Schon seit dem Biedermeier, als in der Habsburger Monarchie die Industrialisierung und Massenproduktion noch ein Pfui-Teufel waren, will der Österreicher nur einen Kaiser, später nur ein Reich, ein Volk usw.

Georg Lebzelter: Im Gegensatz dazu hast du bei einem Symposion zu Friedensreich Hundertwasser höchst anerkennend über Hundertwassers hohe Auflagen gesprochen.

Philipp Maurer: Friedensreich Hundertwasser hat die politische Bedeutung und ästhetische Qualität der Vervielfältigung betont und mit seiner Druckgraphik seine kulturphilosophischen, umweltbewussten Ideen propagiert. Er hat die Drucktechnik genau beschrieben und auch seine extrem hohen Auflagen genau und ehrlich nummeriert. Darum hält er heute auch noch seinen Preis!

Georg Lebzelter: Zurück zum Galerieprogramm: Wie hast du KünstlerInnen gefunden, wie hast du Kunst und Politik verbunden?

Philipp Maurer: Durch Symposien, wie das zum 100. Todestag Vincent van Goghs, und Ausstellungen, wie die AIDS-Ausstellung mit Friedl Nussbaumer und Dieter Schmutzer in Zusammenarbeit mit der Wiener Kunstschule, die meines Erinnerns die allererste Ausstellung zum Thema AIDS in Wien war, gewann ich viel neues Publikum. Es folgten 1988 „Künstler gegen Gewalt“ zur Pogromnacht 1938, 1990 „Ausländische Künstler oder Eh nur Tschuschen?“ mit Boubacar Diallo, Vito Vuković, Leslie Demelo, Fatih Aydogdu und anderen.

Georg Lebzelter: Aus dem Anspruch, gesellschaftskritische, politische, humanistische Kunst zu zeigen, hat sich die Konzentration auf Druckgraphik ergeben. Sind dir die guten DruckgraphikerInnen quasi zugelaufen?

Philipp Maurer: Das kann man so sagen. Dieter Schrage hat etlichen KünstlerInnen die Galerie empfohlen. Selbstverständlich habe ich KünstlerInnen aktiv angesprochen, Ateliers und Ausstellungen besucht, mit GaleriebesucherInnen über ihre Erwartungen diskutiert. Und durch unsere Kontakte nach Jugoslawien und Bulgarien habe ich unser Programm in eine in Wien unbekannte Nische ausgeweitet. In Osteuropa funktionierten viele druckgraphische Blätter als politische Kassiber, als rote Untergrundbotschaften gegen den erstarrten Sozialismus. Quasi druckgraphische Biermann-Lieder.

Georg Lebzelter: Leonore, du hast die Druckgraphophilie mitübernommen.

Leonore Maurer: Ich habe das sehr gerne mitgemacht, denn ich habe Interesse für die Technik entwickelt, weil Technik rational ist – mit den rein emotionalen Sachen kann ich wenig anfangen – und weil das Drucken mit Büchern und Schreiben eng zusammenhängt. Ich mag das Schwarz-Weiß und die Monochromie, und ich schätze die Beziehung zu Osteuropa sehr.

Philipp Maurer: Man muss festhalten: Es gibt nichts, was gegen Druckgraphik spricht!

Georg Lebzelter: Mit der Übersiedlung 1997 in die Kundmanngasse wurde die Kleine Galerie zu einem österreichweit bekannten und international anerkannten Zentrum für Druckgraphik.

Philipp Maurer: Das scheinbare „Minderheitenprogramm“ wurde von einer großen Anzahl von Menschen besucht. Ich zeigte Druckgraphik aus vielen Ländern, aus Österreich, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Schweden, Polen, Bulgarien, Jugoslawien, Israel, Indien, Japan, USA – ich werd schon was vergessen haben –, bot also auch viel Internationales. Viele Menschen haben mit Interesse die Wiener Kunsthefte, eine Zeitschrift der Aufklärung und Information über Druckgraphik, gelesen und sind dann, nach dem Ende der Wiener Kunsthefte, Um: Druck-AbonnentInnen geworden. Auch der Pudel Kern und der Kunstschaufler sind von den Kunstheften zum Um:Druck übersiedelt. Ich glaube, dass ich es mit all meinen Aktivitäten – der Galerie, dem Um:Druck, den Eröffnungsreden, den Ausstellungen im Renner-Institut, den Um:Druck-Gesprächen – geschafft habe, das Image der Druckgraphik in Österreich wesentlich zu verbessern, Menschen über die lange Tradition der Druckgraphik zu informieren und technische und ästhetische Kenntnisse zu vermitteln. Eine gute Sache war die Edition Druck-Platte, die mit der Edition Jugendfrei im Um:Druck fortgesetzt wurde.

Leonore Maurer: Tatsächlich sind viele Mitglieder und AbonnentInnen der Kleinen Galerie unseren Weg mitgegangen und sind bis heute noch AbonnentInnen des Um:Druck.

Georg Lebzelter: Druckgraphik braucht Einrichtungen, wo Menschen, Ideen und Bilder zusammenkommen. Im Um: Druck konnten Druckgraphiker- Innen ihre Arbeiten präsentieren und gleichzeitig KünstlerInnen aus der ganzen Welt kennenlernen. Warum eine konventionelle Zeitschrift auf Papier?

Philipp Maurer: 2006, nachdem die Kunsthefte ihr Erscheinen eingestellt hatten, versuchten wir, das „Zentralorgan herumstreunender Druckgraphiker- Innen“, wie Du, Georg, es formuliert hast3, fortzusetzen, und zwar größer, besser, schöner, umfangreicher, internationaler. Wir haben in der neuen Redaktion, in der du ja von Anfang an dabei warst, ausführlich die Frage des Formats der Zeitschrift diskutiert und kamen zu dem Schluss, das Zeitungsformat der Kunsthefte beizubehalten, damit sich der Um:Druck schon rein äußerlich von den Hochglanz-Kunsthuldigungs- und Devotionalienzeitschriften unterscheidet. Das schwere Papier, durch das unser Schwarz-Weiß-Druck nicht durchschlägt, hat unser Drucker Günther Hofer in Retz, der selbst ein begeisterter Freund der Druckgraphik ist, vorgeschlagen. Dieses Papier wurde zu einem Markenzeichen des Um:Druck.

Georg Lebzelter: Viele neue Ideen sind in den Redaktionssitzungen bei den inzwischen legendären „Redaktionswürschteln“ entstanden. Darunter als klassisches Centre-fold der Meditative Makak …

Philipp Maurer: … den ich gerne als Originalgraphik für Offsetdruck bezeichne. Wir haben KünstlerInnen gebeten, eine Graphik zu gestalten, eine Doppelseite, die Ästhetik und Politik, Kunst und Agitation verbindet. Danke an alle BeiträgerInnen: es sind echt tolle Arbeiten entstanden. Leonore und ich hatten das Vergnügen, bei LeserInnen einzelne Makake an der Wand zu finden.

Leonore Maurer: Sogar am Klo!

Philipp Maurer: Ja, das war die Gemeinschaftsarbeit von Uwe Baumann und Thomas Nemec. Wir waren ja von den Meditativen Makaken immer sehr begeistert.

Georg Lebzelter: Und jetzt habt ihr selbst den letzten Makak gestaltet.

Philipp Maurer: Der letzte Meditative Makak, mit einer Auswahl politisch und kulturell wichtiger Druckgraphiken, mit Karikaturen von Ali Kohlbacher und Texten von Lies Kató, fasst unser Interesse an der Geschichte der Druckgraphik zusammen: wir sehen Agit-Art aus Jahrhunderten. Ich fühle mich schon ein bissel wie der Bänkelsänger, der dauernd dieselben Weisheiten verbreitet, wie zum Beispiel die Geschichte über Christophorus.

Leonore Maurer: Erzähl sie jetzt bitte nicht wieder!

Philipp Maurer: Okay, hab ich eh mehrmals schon aufgeschrieben und erzählt.

Georg Lebzelter: Der Um:Druck hat ja auch eine eigene Edition verlegt, die Edition Jugendfrei.

Philipp Maurer: Die du, Georg, betreut hast, solange du noch an der Wiener Kunstschule unterrichtet hast. In dieser Edition, die Beiträge von Studierenden der Druckgraphik versammelt, sind hervorragende Blätter erschienen, alle in Auflage 50 Stück, nummeriert, signiert. Die letzten drei Jahrgänge der Edition boten Arbeiten von Studierenden an Kunsthochschulen in Wien, Belgrad, Krefeld und London. Ich bin überzeugt, dass einige der BeiträgerInnen ihren Weg als KünstlerInnen machen werden!

Georg Lebzelter: Seit zwei Jahren gibt es die King’s Prints. Wie entstand diese Edition?

Philipp Maurer: Der Sammler und Mäzen Thomas König fördert mit dieser Aktion Druckgraphiker- Innen, die ein Hochschulstudium absolviert haben, sich aber nach dem Studium keine eigene Presse und keine Druckgraphik-Werkstatt leisten können, um mit professionellen DruckerInnen zusammenzuarbeiten und eigene Arbeiten aufzulegen. Es sind bereits einige schöne Blätter entstanden, die wir im Um:Druck zum Kauf anbieten.

Georg Lebzelter: Die Redaktionssitzungen mit den legendären „Redaktionswürschteln“ waren immer witzig, voll Wort- und Gedankenspielereien. Und wir haben etliche gute Ideen produziert. Es war ja nicht immer so einfach, den umfangreichen Um: Druck zu füllen.

Philipp Maurer: Nur zur Veranschaulichung: Eine Ausgabe des Um:Druck mit 32 Seiten im Format A3 entspricht 64 Seiten A4 oder 128 Seiten A5 – das wäre eigentlich ein nettes Taschenbüchlein! Das hätten wir ohne die Mitarbeit aller RedakteurInnen nie zusammengebracht!

Georg Lebzelter: Ihr habt AutorInnen gefunden, die ein breites Spektrum an Themen, KünstlerInnen und Sichtweisen eingebracht haben.

Leonore Maurer: Erfreulich ist, dass wir immer AutorInnen gefunden haben, deren politische Meinungen zu uns und zum Um:Druck passten – zumindest nicht widersprachen. Wir haben ja auch unter diesem Aspekt die Redaktionsmitglieder eingeladen!

Philipp Maurer: Wir haben nie ein Honorar bezahlt. Aber wir hatten immer gute AutorInnen! Viele, – du bist einer davon! neben Michael Schneider, Dieter Schrage, Claudia Karolyi, Sergius Kodera, Sabine Fürnkranz u.a. –, die mit großem Interesse, Engagement, Zeitaufwand mitgearbeitet, Beiträge aller Art geliefert, internationale Kontakte hergestellt und AutorInnen aus Tschechien, USA, Japan u.a. vermittelt haben.

Georg Lebzelter: Im Um:Druck kommen viele unterschiedliche formale und inhaltliche Positionen der Druckgraphik zu Wort.

Philipp Maurer: Wir wollten keineswegs eindimensional nur unsere persönliche Sicht auf die Druckgraphik zeigen. Wir danken allen AutorInnen, die uns hervorragende Beiträge geliefert haben, die für den guten Ruf des Um:Druck gesorgt haben. Im Um: Druck gab es KünstlerInnenporträts, Berichte über internationale Biennalen und Triennalen, Beiträge zur Theorie und Abhandlungen über historische Druckgraphik. Das Spektrum war breit: zum Beispiel Jürgen Weichardts Beiträge über Vergil- und Ariost-Illustrationen aus der Sammlung Dr. Wilkes standen neben Texten von Michael Schneider und mir über die Geschichte des Holzschnitts und den aktuellen Einsatz von Computern in der Druckgraphikproduktion, wo wir zu dem Ergebnis kommen, ohne es damals allerdings so schlüssig zu formulieren: „Hätte Dürer einen Computer gehabt, hätte er ihn verwendet.“ Zur Geschichte des Holzschnittes hat Herwig Tachezi, der seit einigen Jahren die Galerie Hochdruck in der Neudeggergasse in Wien-Josefstadt betreibt, wichtige Beiträge geleistet. Außerdem gab es Artikel über Cranach, Mantegna, Callot, Piranesi, Rembrandt, die Expressionisten usw. usw.

Leonore Maurer: Einige Nummern lang haben auch die „Graphikkinder“ Katharina Trieb und Polly Delcheva mitgearbeitet, die sehr schöne Beiträge zur Edition Jugendfrei geleistet haben und nun eine eigene druckgraphische Werkstatt hier in Wien betreiben. Leider ist eine materiell auf Papier gedruckte Zeitschrift für junge Leute heute keine Option, da sie keine Möglichkeit sehen, damit Geld zu verdienen, und weil sie – das ist jetzt aber nur meine Vermutung – vorzugsweise ihre Informationen aus dem virtuellen Raum beziehen.

Georg Lebzelter: Erfreulicherweise wurde der Um: Druck auch durch AutorInnen, die nicht in Wien leben, bereichert.

Philipp Maurer: Uwe Baumann aus Berlin, zum Beispiel, hat einen völlig neuen Stil und neue Themen in den Um:Druck eingebracht, nämlich die Künstlerbücher, die Kleinverlage und die Handpressendrucke. Leider hat die Arbeit für andere Publikationen in Berlin Uwe Baumann gehindert, weiterhin regelmäßig für uns zu schreiben. Aber es kamen weitere AutorInnen dazu, die den Um:Druck kennengelernt hatten und meinten, dass sie genau bei dieser Zeitschrift mitarbeiten wollen, zum Beispiel Volkhard Böhm aus Berlin, Karin Leitner-Ruhe aus Graz oder Manfred Egger aus Tirol. Susann Hoch aus Leipzig hat sehr schöne Bilder und Texte über die Ausstellungen in ihrer Galerie Hochdruck geliefert. Wir haben alle diese Beiträge mit Handkuss genommen.

Georg Lebzelter: Die AutorInnen haben ihre Texte immer ehrenamtlich und honorarfrei beigetragen. Das Grauen des Lektorats war deine Sache, Leonore?

Leonore Maurer: Ja, das Lektorieren und Korrektur Lesen war immer meine Aufgabe. Wir haben uns sehr bemüht, korrektes Deutsch zu drucken.

Georg Lebzelter: Was sind rückblickend besonders wichtige Artikel gewesen? Worauf seid ihr besonders stolz?

Philipp Maurer: Ich glaube, dass es ein besonderes Verdienst des Um:Druck und ein Ergebnis der Diskussionen in den Redaktionssitzungen ist, dass der Um:Druck eine neue Definition von Druckgraphik verbreitet: Druckgraphik definieren wir nicht mehr unter dem technischen Aspekt der Herstellung als Holzschnitt, Radierung usw., sondern unter dem Aspekt der Funktion als das vervielfältigte und verbreitete Bild. Die Vervielfältigung leisten Datenträger von der Holzplatte bis zum digitalen Code, die Verbreitung erfolgt auf Papier oder virtuell. Damit ist die digitale Bildwelt, im besonderen die digitale Fotografie, in den Begriff der Druckgraphik integriert. Denn eigentlich geschieht im Internet und in den Social Media heute nichts prinzipiell anderes als das, was schon im 15. und 16. Jahrhundert geschehen ist: Bilder werden produziert und verbreitet, um zu unterhalten, um zu agitieren, für Meinungen und Haltungen zu werben, um letztendlich von möglichst vielen Menschen gesehen zu werden und den eigenen Künstlernamen und die eigene Bildsprache zu popularisieren. Früher nagelte man Bilder an die Dorflinde, heute teilt man sie auf Facebook.

Georg Lebzelter: Die theoretische Auseinandersetzung mit Kunst war euch immer sehr wichtig. Im Um:Druck gab es immer wieder, wenn auch leider zu selten, theoretische Abhandlungen über Kunst sowie Hinweise auf kunsttheoretische Bücher.

Philipp Maurer: Wir haben immer versucht, und versuchen es weiterhin, die Kunstszene und den Kunstmarkt kritisch zu betrachten und die spezifische Rolle und Funktion der Druckgraphik zu verstehen. Unsere Beschäftigung mit Kunsttheorie fing schon während meiner germanistischen Dissertation an, als ich, in den 1980er Jahren, erklären musste, dass politisch engagierte Lieder, im Dialekt zur Gitarre vorgetragen, Thema einer wissenschaftlichen Beschäftigung sein können. Dafür war es notwendig, zu definieren, was als Kunst anerkannt werden muss und welche Aufgaben Kunst erfüllen kann oder soll. Später, bereits in der Kleinen Galerie, las ich Hegels Vorlesungen über Ästhetik, um in zahlreichen Gesprächen klarzustellen, dass Hermann Nitsch, der damals eine große, von Dieter Schrage kuratierte Ausstellung im 20er-Haus hatte und auf Grund einer Kronen-Zeitungs-Kampagne sehr umstritten war, Künstler ist und seine Produkte Kunst sind.

Leonore Maurer: Wir haben uns immer mit dem theoretischen Überbau und seinen Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Realität beschäftigt und versucht, die Kunst als Teil gesellschaftlicher Wirklichkeit zu sehen. Ich möchte hier an den Kunsttheoretiker Max Raphael erinnern, auf dessen Werk zur Entstehung und Rezeption von Kunstwerken, „Wie will ein Kunstwerk gesehen sein?“ uns Dieter Schrage aufmerksam gemacht hat.4 In einer Edition der Kleinen Galerie wurden bisher unbekannte Schriften Max Raphaels publiziert.5 Über die politische Theorie der bildenden Kunst hat Johann Dvořák, damals Abteilungsleiter im Unterrichtsministerium, am Beispiel der Kunstkritiken und Gedichte Charles Baudelaires geschrieben. Wichtig waren auch die marxistische Kulturtheoretikerin Lu Märten6, die Anfang der 1920er Jahre Ansätze einer linken Materialästhetik entwickelte, und die Schriften der Kunsthistorikerin und -theoretikerin Hilde Zaloscer, vor allem ihr letztes  Buch „Visuelle Beschwörung, autonomes Kunstwerk, Ideograph“.7

Philipp Maurer: Als wir mit dem Um:Druck begannen, entdeckten wir die Schriften von Wolfgang Ullrich, die uns viel theoretischen Hintergrund über die Funktion von Bildern und die visuelle Kultur boten.8 Im Moment lesen wir mit großem Vergnügen Hanno Rauterbergs Buch zur Ästhetik und Ethik.9

Leonore Maurer: Was Rauterberg schreibt, ist nicht neu, aber er fasst Bekanntes gut zusammen: Dass es Ideologiefreiheit in der Kunst nie gegeben hat, dass der/die KünstlerIn heute weniger autonom ist denn je, dass aktuelle Kunst nicht mehr nach Kriterien wie Motiv, Komposition, Botschaft usw. beurteilt wird, dass es auch nicht mehr um Gestaltung oder Design geht, sondern nur mehr um das Machen eines Künstlers, der als nonkonformistisch integre Person auftritt, oder – ebenso gut – um das Machen seiner Angestellten. Der Künstler ist sein eigenes Markenzeichen, er selbst steht als Person im Fokus der Aufmerksamkeit, nicht mehr sein Werk, das damit völlig beliebig wird. Es gibt SammlerInnen, die Kunst nicht einmal mehr auspacken, sondern hoffen, sie als Spekulationsobjekt mit Gewinn verkaufen zu können.

Philipp Maurer: Damit verliert die Kunst jeglichen Gebrauchswert und wird auf den reinen Tauschwert reduziert. Solche Kunst interessiert den Um:Druck nicht. Wir sind überzeugt davon, dass Kunst einen Gebrauchswert haben muss im Sinne des Vergnügens am Inhalt, an der Komposition, den Farben, im Sinne der Vermittlung und Vergegenwärtigung einer inhaltlichen Botschaft, im Sinne des ästhetischen Genusses welcher Art auch immer. Der Um:Druck ist mit dieser Ideologie und mit dieser Spezialisierung auf dementsprechende Kunst selbstverständlich ein Nischenprodukt, das vom Markt mit gewisser Verachtung gesehen wird. Der Um:Druck-Kolumnist Hubert Thurnhofer hat mit seinem Buch Die Kunstmarkt-Formel, die im Um:Druck besprochen wurde, ebenfalls gegen die aktuellen Tendenzen polemisiert. Der Um:Druck bevorzugt Kunst, die Form, Inhalt und Botschaft in technisch, ästhetisch und ideologisch hervorragender Weise zur sinnlich erfahrbaren Schau stellt und die daher zwar in der druckgraphischen Szene, nicht aber am großen Markt ihre LiebhaberInnen und KäuferInnen findet.

Georg Lebzelter: Ihr habt den Um:Druck zu einer erfolgreichen, profilierten Fachzeitschrift entwickelt.

Philipp Maurer: Der Um:Druck hatte durchaus Erfolg: Wir hatten einen kostenlosen Stand auf der Vienna Fair, wir waren eingeladen, ihn den LeiterInnen der graphischen Sammlungen im deutschsprachigen Raum zu präsentieren, es gibt einen Artikel über den Um: Druck in der Wien-Nummer der Zeitschrift Typotopographie.

Georg Lebzelter: Warum hört ihr trotzdem auf?

Philipp Maurer: Weil wir inzwischen trotz der Anerkennung zu wenig zahlungskräftige und zahlungswillige AbonnentInnen haben. Traurigerweise sind etliche verstorben, andere haben als PensionistInnen weniger Geld, wieder andere wenden sich anderen Interessen zu.

Leonore Maurer: Wir haben am Um:Druck nie etwas verdient, aber die Abo-Gebühren, die Edition Jugendfrei und eine kleine Subvention der Stadt Wien haben etliche Jahre lang die Druck- und Portokosten gedeckt. Mehr wars nicht. Aber zu den letzten Nummern mussten wir schon zuschießen, denn jedes Jahr werden Druckerei und Porto teurer.

Georg Lebzelter: Also ist der finanzielle Aspekt Schuld?

Leonore Maurer: Nicht ausschließlich, aber doch. Wir sind älter, langsamer geworden und wollen noch ein paar anderen Interessen nachgehen.

Georg Lebzelter: In den Um:Druck ist viel Zeit geflossen. Zeitschriftmachen als Familienunternehmen: Wie hat das funktioniert? Mit idealistischer Selbstausbeutung?

Leonore Maurer: Selbstausbeutung ist richtig! Es war schon immer sehr viel Arbeit! Samt durchgearbeiteten Nächten kurz vor der Drucklegung. Einen Redaktionsschluss gab es eigentlich nicht, aber irgendwann ging die Zeitschrift doch immer in Druck. Das regelmäßige Erscheinen hörte leider 2011 auf. Aber wir konnten uns auf ein berühmtes Vorbild berufen: die Fackel von Karl Kraus, die „in unregelmäßiger Folge“ erschien.

Philipp Maurer: Unsere eigenen Artikel hat der jeweils andere Korrektur gelesen, wir haben sie besprochen und Fehler verbessert. Und zwar vor der Drucklegung! Jedenfalls hat uns nie jemand auf grobe Blödheiten, die wir vielleicht übersehen hätten, aufmerksam gemacht.

Georg Lebzelter: Jedenfalls ist die Ehe nicht an der fast 30-jährigen Zusammenarbeit bei der Produktion der vielen Nummern der Zeitschriften gescheitert. Was folgt nun nach dem Um:Druck Nummer 28?

Leonore Maurer: Zuerst Erleichterung, einen großen Brocken Arbeit los zu sein. Dann doch ein bisserl Wehmut, wie auch Lies Kató im Pudel schreibt.

Philipp Maurer: Mit der Nummer 28 erfolgt auch unser herzlicher Dank an alle unsere LeserInnen, vor allem aber die regelmäßig zahlenden Abonnent- Innen für die langjährige Treue, an alle, die uns unterstützt, uns teilweise sehr beachtliche Geldbeträge gespendet haben, an alle, die uns gelobt und mit Kritik und Anregungen reagiert haben, die zu den Um:Druck-Gesprächen gekommen sind, die uns weiterempfohlen haben und und und … Wir danken den RedakteurInnen für die viele Arbeit, die Ideen, die Anregungen, die Kontakte. Und wir danken unseren KolumnistInnen, dem Pudel Lies Kató und dem Kunstschaufler Robert Poslusny für 24-jährige Treue, dem Unzureichenden Grund Hubert Thurnhofer für seine marktkritischen Kommentare, und dem Politischen Strichler Ali Kohlbacher, der jeder Nummer des Um:Druck politische Radikalität verliehen hat. Unsere Kolumnen wurden, das sei nur am Rande bemerkt, von vielen LeserInnen hoch geschätzt!

Georg Lebzelter: Gibt es ein Leben nach dem Um: Druck? Geht Euer Engagement für die Druckgraphik irgendwie weiter?

Philipp Maurer: Wir versuchen, zeitgemäße Formen der Publikation über Druckgraphik zu finden.

Leonore Maurer: Es gibt ein paar Ideen, wie es weitergehen kann. Einerseits: Das Buch ist nach wie vor wichtig, zwar nicht als das Medium, aus dem man primär und kurzfristig Informationen gewinnt – dafür gibt’s das Internet –, sondern als Medium des umfassenden Überblicks und der wissenschaftlichen Zusammenfassung, und als das schöne, künstlerisch und grafisch gestaltete besondere Medium. Wir erleben die Renaissance des Haptischen, des Schönen, das vom Buch repräsentiert wird. Wir denken an eine Fortsetzung des Um:Druck als Buch, das ein bestimmtes Thema in die Tiefe gehend abhandelt, was im Um: Druck, der doch immer eine Zeitschrift für Aktuelles war, nicht möglich war.

Philipp Maurer: Zweitens denken wir an eine Publikation im Internet. Eine web-basierte Zeitung oder einen Um:Druck-Blog. Ein Probegalopp ist die Facebook-Gruppe Um:Druck. Und drittens sind wir mit Freunden in Deutschland im Gespräch, die Interesse haben, den Um:Druck in der einen oder anderen Form weiterzuführen. Fix ist noch nichts, es gibt Überlegungen, Planungen – wir werden sehen, was rauskommt.

Georg Lebzelter: Leonore und Philipp, ihr habt in ungefähr 25 Jahren einen wichtigen Beitrag zur Geschichte und Entwicklung der Druckgraphik in Österreich und darüber hinaus geleistet. Ich nehme mir an dieser Stelle heraus, euch stellvertretend  für alle DruckgraphikerInnen und Druckgraphophilen dafür zu danken. Und ich bin optimistisch, dass ihr euch nun nicht aufs Altenteil zurückziehen werdet, sondern dass es mit dem Um:Druck in irgendeiner Form weitergehen wird.

Philipp Maurer: Jedenfalls lassen wir uns jetzt alle 28 Um:Druck-Ausgaben zu einem dicken Buch aufbinden. Darauf freue ich mich sehr!

Denn: Von Druckgraphik kann man nie genug kriegen!

Anmerkungen:

1 Gerhard Habarta: Frühere Verhältnisse. Kunst in Wien nach ’45. Verlag Der Apfel, Wien 1996, S.237

2 Vgl. Dieter Schrage: „Schimpft mich ruhig einen 68er!“ Anmerkungen zu einer Bestandsaufnahme „25 Jahre danach.“ In: Wiener Kunsthefte 2/1993, S.20-22

3 Vgl. Editorial. In: Um:Druck 14/2010, S.2

4 Max Raphael: Wie will ein Kunstwerk gesehen sein? „The Demands of Art“, hg.v. Klaus Binder, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1989

5 Schriftenreihe der Gesellschaft für Kunst und Volksbildung, hg.v. Philipp Maurer:

Max Raphael: Das schöpferische Auge  oder  Die Geburt des Expressionismus. Die frühen Schriften 1910-1913, hg.v. Patrick Healy und Hans-Jürgen Heinrichs unter Mitarbeit v. Ron Manheim, Wien 1993

Wolfgang Wein: Das Irrationale: Entstehungsgeschichte und Bedeutung einer zentralen philosophischen Kategorie, Peter Lang Verlag, Frankfurt a.M. 1997

Ulrich Gansert: Realismus oder Design. Aufsätze zu Kunst und Politik, Peter Lang Verlag, Frankfurt a.M. 2000

6 Lu Märten: Wesen und Veränderung der Formen/Künste. Resultate historisch-materialistischer Untersuchungen. Taifun-Verlag, Frankfurt a.M. 1924

7 Hilde Zaloscer: Visuelle Beschwörung, autonomes Kunstwerk, Ideograph. Eine Begriffsklärung. Böhlau, Wien 1997

8 Wolfgang Ullrich: Bilder auf Weltreise. Eine Globalisierungskritik, 2000; Mit dem Rücken zur Kunst. Die neuen Statussymbole der Macht, 2006; Raffinierte Kunst. Übung vor Reproduktionen, 2009; alle: Wagenbach, Berlin

9 Hanno Rauterberg: Die Kunst und das gute Leben. Über die Ethik der Ästhetik. Suhrkamp, Berlin 2015

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