Zu Erich Steiningers Ausstellung im Niederösterreichischen Landesmuseum 2010. Von Philipp Maurer
Ein Nachtrag als Vorspruch: Erich Steininger ist am 4. November 2015 im Alter von 76 Jahren verstorben. Er wurde in seiner Heimatgemeinde Kirchbach beigesetzt. Sein Werk lebt weiter.
Das Niederösterreichische Landesmuseum verleiht mit der großen Retrospektive dem in sich stimmigen und überzeugenden Weltentwurf Erich Steiningers das Qualitätszertifikat der Museumsreife. Die Ausstellung in St.Pölten erzählt die Geschichte eines langen Künstlerlebens, das sich so sehr dem Werk eingeprägt hat, dass es ganz im Werk aufgeht und gar nicht mehr als eigenes neben dem Werk zu existieren scheint. Eine Biographie Erich Steiningers zu erzählen, heißt daher, seine Werkgeschichte zu erzählen.
Die umfangreiche Literatur über Erich Steininger dokumentiert sein Werk sehr genau, erwähnt aber nie das private Leben außerhalb der Kunst. Insofern ist das älteste, in der St.Pöltner Ausstellung gezeigte künstlerische Dokument Erich Steiningers, ein in Holz geschnittenes Selbstporträt aus dem Jahr 1966, höchst auffällig. Aber an unscheinbarem Platz hängt es – beiläufig fast, als ob es nur für jene Besucher-Innen gedacht sei, die sich wirklich mit Steininger und seinem Werk auseinandersetzen wollen. Ein junger Mann blickt uns ernst an, ein bisschen schüchtern vielleicht, ein bisschen fragend, aber doch selbstbewusst genug, sich mit der Welt einzulassen. 1939 im kleinen Waldviertler Weiler Ober-Rabenthan in der Gemeinde Rappottenstein als Sohn eines Zimmermanns geboren, war ihm das Holz von Anfang an sein eigenstes Medium. Steiningers ganze Umgebung war Holz: das Arbeitsmaterial des Vaters, die Möbel, das Haus, die Landschaft. Holz lebte, wuchs, veränderte sich, aus Holz entstand Neues, Gestaltetes, Holz bot Lebensinhalt, -zweck und -sinn.
Steiningers Entscheidung für das Schwarz-Weiß, das sein bevorzugtes Ausdrucksmittel wurde, ist die Reaktion auf frühe, intensive Erfahrungen mit dem Leben der Bauern und Handwerker in einer kargen Gegend, in einer harten Zeit, der brutalen Welt des Weltkrieges und der frühen Nachkriegszeit, die von Kompromisslosigkeit und dem harten Freund-Feind-Schema beherrscht ist und in der die Welt nur in Schwarz und Weiß, in Gut und Böse eingeteilt wird. Zwar gibt es auch farbige Zeichnungen, Kaltnadelarbeiten und großformatige, in sattem Rot gedruckte Holzschnitte. Meist aber ist die Farbe nur zusätzliches, ganz selten dominantes Bildelement.
Während des Studiums an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Max Melcher, der die Vorliebe des jungen Waldviertlers für das Holz nach Kräften förderte, entdeckte Erich Steininger die reiche Tradition des Holzschnittes. Aus Albrecht Dürers Apokalypse und Marienleben konnte Erich Steininger jene Geschichten herauslesen, die er selbst in der kleinbäuerlichen, kleinhäuslerischen, faschistoiden, klerikalen Stimmung des Nachkriegs-Waldviertels täglich erlebte: wie Menschen geschunden wurden, wie ihnen der Arbeitsplatz wegrationalisiert wurde, wie sie nach dem Arbeitsunfall einfach so die Kündigung bekamen und wie all die Gefälligkeiten, die sie dem Arbeitgeber zeitlebens geleistet hatten, auf einmal gar nichts mehr zählten.
Noch viel mehr als von den frühen Holzschnitten lernte Erich Steininger von den deutschen Expressionisten, die dem Holzschnitt zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine neue künstlerische Funktion zugewiesen hatten. Seine eigene starke Emotionalität und tiefe Gläubigkeit fand er in den Holzschnitten von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmitt-Rottluff wieder. Stilistisch am nächsten stand ihm Ernst Ludwig Kirchner, dessen Holzschnitt-Porträt von Otto Klemperer aus 1916 in der Verteilung der Massen und der formalen Raumdynamik vorbildhaft ist für Steiningers Selbstporträt aus 1966 und die Ober-Rabenthaner Dorfszenen aus demselben Jahr. Wie sehr sein bildnerisches Denken von den Expressionisten beeinflusst ist, dokumentiert Steininger durch zahlreiche verbale Zitate der Expressionisten an den Ausstellungswänden, die den geistigen Hintergrund, die kunsthistorische Bedeutung und die ästhetischen Qualitäten des Holzschnittes vermitteln.
Ebenso wichtig für Steiningers Kompositionen sind Chagalls schwingende Figurengruppen, fliegende Pferde und Tänzer auf den Dächern und die schwingenden, welligen, fliegenden, dynamischen Felder, Wälder, Weiler, Häuser des Waldviertels.
Erich Steininger hat stets sein Werk in Katalogen publiziert. Schon in seinem ersten Katalog aus dem Jahr 1968 sind alle Themen ausgebreitet: das bewirtschaftete Land des Waldviertels mit Feldern, Dörfern, Zäunen und das Leben der Menschen mit Werkzeugen, Fuhrwerken, Festen, Bräuchen und ihrer Religiosität. Alle Blätter zeichnen sich durch schwungvollen Schnitt, schwingende Raumaufteilung, dynamisches Geschehen und die Binnenzeichnungen im Weißlinienschnitt aus. Gedruckt wurde der Katalog im Format 33 x 25 cm von den Original-Holzstöcken. Für Erich Steininger ist der Holzschnitt nicht nur das ideale Mittel seiner Kunstausübung, er ist ihm auch ideales Mittel zur Kommunikation. Er führt die alte Tradition der vom Holz gedruckten Bücher fort, die im 15. Jahrhundert mit den Einblattdrucken begonnen hat, in den großformatigen Bibliae pauperum ihren ersten Höhepunkt fand und durch die Jahrhunderte, ab dem 19. Jahrhundert in der verfeinerten Form des Holzstichs, für die Bebilderung von Büchern genutzt wurde. Vom Holz konnten zwar nicht so feine Linien und Nuancen gedruckt werden wie vom Kupfer, dafür erlaubte das Holz viel höhere Auflagen. Mit seinen Blättern und vor allem seinen Büchern wird Steininger quasi zum Emissär des Waldviertels und des Holzschnitts.
Mit den Büchern „Körper“ im Format 35 x 33 cm aus dem Jahr 1987 und „Das Dunkle weicht dem Hellen“ im Format 70 x 50 cm aus dem Jahr 2009, die ebenfalls direkt vom Holzstock gedruckt wurden, setzte Steininger Wegmarken seiner künstlerischen Entwicklung. „Kein Buch, ein Möbel“, sagte Erich Steininger von seinem letzten Werk, über dessen Druck es ein Video gibt, „aus drei Büchern kann man einen Hocker machen, zum Beispiel“. Steininger überschreitet den engen Bereich der galeriefähigen, handelbaren, im Glaskäfig an die Wand zu hängenden „Blätter“, seine Kunst wird zum „Möbel“, einem geformten, in Funktion gebrachten Stück Holz, mit dem man leben, sichs einrichten und gemütlich machen kann.
Alltägliche Funktionen der Bilder erlebt Erich Steininger in der ländlichen Kunst, dem Marterl am Wegesrand, dessen kleine Figuren zum Innehalten und zur Andacht einladen. Steiningers frühe Heiligendarstellungen zeigen die Heiligen so, wie es die Volkskunst gerne tut, im Augenblick des Leidens: der heilige Florian stürzt von der Brücke (der römische Kanzlist Florian, heute Schutzpatron vor dem Feuer, bei Steyr in die Enns geworfen, avancierte zu einem der wichtigsten und am meisten abgebildeten Heiligen Österreichs), Katharina stirbt am Rad (gemeinsam mit Barbara und Margarete die „drei heiligen Madln“). Es sind aber nicht nur die Heiligen, die Steininger als Gequälte, Leidende, als „Hiob“ (dies der Titel eines Mappenwerks) darstellt, auch Kreuzigungen zeigen nicht den triumphierenden, sondern den leidenden, schmerzverzerrten Christus. Und Erich Steininger setzt auch die Scheu vor dem Kreuz und die Erschütterung des Menschen beim Erlebnis des Numinosen ins Bild: eine Frau stürzt in Ansehung des Gekreuzigten rücklings nieder, die Beine breit, die Vagina weit geöffnet. „Sigi, schau oba“, kommentiert der gelernte Wiener. Religion, Transzendenz und der Glaube an das Göttliche sind bestimmende Faktoren in Steiningers Kunstwelt.
Mit seiner expressiven, ganz und gar nicht romantisch-verklärenden Darstellung von Landschaft, Dorf und Heiligen nahm Erich Steininger an der umfassenden Reflexion und Diskussion des Begriffs Heimat, der in den 1960er, 1970er Jahren in der fortschrittlichen Kulturszene heftig geführt wurde, teil. Peter Turrini, Heinz R.Unger, Reinhard P. Gruber, Franz Innerhofer, Hans Trummer, Gernot Wolfgruber sind die literarischen Exponenten, in der bildenden Kunst waren es vor allem die Holzschneider, die das Leben der Menschen in ihrer Heimat thematisierten: neben Erich Steininger leisteten Werner Berg und Robert Hammerstiel wichtige Beiträge. Sie trugen erfolgreich dazu bei, den Holzschnitt nach seiner deutschdümmelnden Inanspruchnahme im Dritten Reich neu zu bewerten. Sie transportierten nicht nur andere Inhalte mit dem Holzschnitt, sie waren auch in schnitttechnischer und ästhetischer Behandlung des Holzes ihren teutsch-österreichischen Vorgängern wie Sigbert Lobisser, der sich durch schnitttechnische „Gleichschaltung“ von Haut, Haar, Holzgatter und Gewandstoff „auszeichnete“, weit überlegen.
Erich Steininger hatte von Anfang an Erfolg, obwohl er in den 1960er und 1970er Jahren eigentlich Außenseiter war, als in Österreich Abstraktion und Phantastischer Realismus dominierten und großstädtischer Aktionismus und politisch engagierter Realismus für ein paar Skandale sorgten. Mit seinen Holzschnitten traf Steininger von Anfang an einen österreichischen Zeitgeist. Renommierte Kunsthistoriker und -kritikerInnen wie Rupert Feuchtmüller, Maria Buchsbaum, Otto Breicha, Kristian Sotriffer, Franz Kaindl, später Hartwig Knack und Florian Steininger beförderten die öffentliche Wertschätzung und Anerkennung des Künstlers, der so gar nicht in den Mainstream passen wollte. Trotzdem ist Steininger, wie alle AutorInnen betonen, unverkennbar ein österreichischer Künstler, der Österreichisches thematisiert und eine österreichische Tradition des kritischen Holzschnittes fortführt. Wie sehr schon der junge Erich Steininger einen neuen Ton in diese Tradition einbrachte, lässt sich im frühen Katalog „Der Holzschnitt in Niederös-terreich 1900-1972“ (zur Ausstellung in St.Peter an der Sperr, Wiener Neustadt, 1972) ablesen, zu dem er eine Arbeit beisteuerte.
In den 1990er Jahren begann Steininger, seine Körper bildnerisch zu fragmentieren, um zu einer neuen Inhaltlichkeit zu gelangen. Die bildimmanente Eigendynamik der frühen Holzschnitte, die alle gegenständlichen Assoziationen verfremdet hat, ist nun selbst Thema. Die Mappe „Marionetten“ und Holzschnitte wie „Zerlegt“, „Kopflos“ entstanden – das Menschenbild Steiningers löste sich von den konkreten Inhalten seiner Heimat, wurde zerstückelt und damit allgemeingültig. Rümpfe, Köpfe und Gliedmaßen verformen sich zu Landschaften und abstrakten Liniengeflechten, Strukturen von Dickichten, Rastern, Kraftlinien überziehen die Blätter. „Dickicht“ und „Kleine Schöpfung“ heißen die Arbeiten nun, nicht mehr Figuratives dominiert, sondern Strukturen in „eigengesetzlichen, sich emanzipierenden Bewegungen“1
Erich Steininger vollzog in den letzten zwei Jahrzehnten die wichtigsten künstlerischen Experimente der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts nach: ausgehend von Bildern, die Geschichten erzählen, entzog er dem Holzschnitt das Mimetische und gelangte zu Bildern, die über Form und Technik reden. Auf den Spuren Kandinskys löste er seine Körper in dynamische Formen auf, auf den Spuren Mondrians in Strukturen, auf den Spuren Jackson Pollocks in zufällige Gesten.
Und dann druckt er die um 180 Grad gedrehte Platte nochmals über den ersten Abdruck der Platte und führt damit die Vervielfältigung eines Bildes im Druck quasi ad absurdum. „Im Gegensatz zu der auf Reproduktion basierenden Auffassung des Gedruckten exerziert der Künstler einen Druckgraphikbegriff, der Originäres und Originalität in sich vereint. Der Druckvorgang fungiert als ästhetisch-konzeptuelles Vehikel, mit dem neue oft unvorhersehbare Ergebnisse geschaffen werden.“2. Steininger erweitert den Druck zu neuem Ausdruck und neuer Dynamik. Er verdichtet das Schwarz zu neuen Schwereflächen (nicht nur Schwerpunkten), der Druck mit der Druckerpresse prägt das Papier, dreidimensionale Farbschichten bilden Reliefs. Eine neue ästhetische Qualität, ein Prozess der Verdichtung und Abstraktion beginnt, der sich vom Geschichtenerzählen endgültig verabschiedet hat und „Zustände 97“ (so der Werktitel der 1997 entstandenen Mappe) präsentiert.
Die Rasterlinien, die Steininger schneidet und über bzw. unter seine Figuren und Formen druckt, sind die Parodie des industriellen Rasters zur Bildvervielfältigung, denn Steiningers fein geschnittene Raster sind verwackelt, unregelmäßig, haben verschiedene Strichstärken und unterschiedliche Abstände, sind eben nicht parallel. Aber sie machen die Funktion des Ras-ters sichtbar: der Raster verschleiert zwar die Formen und macht sie unscharf, ermöglicht aber, die Welt zu ordnen und die Positionen der Dinge nachprüfbar, berechenbar und einordenbar festzulegen. Bei den quasi a bissel hatscherten Linien funktioniert die verlässliche Verortung aber nicht, ist die Welt nicht fassbar. Daher erzählen Steiningers Holzschnitte eigentlich von der Undurchschaubarkeit und Unerkennbarkeit der Welt, dem Gegenteil von dem, was der industrielle Raster bezweckt, der die sichtbare Wirklichkeit druckbar machen will.
Der Werktitel „Körper wird Land“, mit dem Steininger diese Phase zusammenfassend umschreibt, bedeutet viel mehr als bloß die Transformation des menschlichen Körpers in jene „Landschaft“, die eine Erfindung des kontemplativen Blicks der Romantik ist. „Körper wird Land“ meint vielmehr die Transformation von Kunst in die Konkretheit von Erde im Sinne der Krume, der Scholle (ich verwende diesen Begriff trotz seiner Geschichte), des einzelnen bebaubaren Ackers, des bäuerlichen Besitztums. Daraus erwächst Getreide, Leben, Kultur und Geist. „Körper wird Land“ meint die neue Qualität des Holzschnittes, der sich von der Erzählung emanzipiert hat, der sinnlich, konkret in seiner Materialität, seiner Farbigkeit, seiner haptischen Qualität, seinem Geruch wird wie die Erde des Waldviertels, die man in die Hand nehmen, riechen, schmecken kann. Was uns hier künstlerisch als Abstraktion entgegentritt, ist eigentlich Konkretisierung, die inhaltliche Spezialisierung auf ganz bestimmte Erde, ganz bestimmtes Land.
Diese Konkretisierung wird allerdings als Abstraktion wahrgenommen. Denn Erich Steininger richtet nun den mikroskopischen Blick auf Kleinststrukturen, sodass die ganze Figur und die weiträumige Landschaft im verengten Blickfeld nicht mehr wahrgenommen werden. Diese Strukturen, als Bauschemata und Konstruktionspläne der Welt zu lesen, zwingen den Blick, immer näher und schärfer zu schauen, wodurch sie immer größer zu werden scheinen, und sie zwingen den Künstler, sie im Kunstwerk zu wiederholen, so wie sie sich in der Wirklichkeit wiederholen. Daher münden der Blick aufs Detail und die Konkretisierung konsequent in die Vergrößerung der Holzschnitte. Zwar liebte Steininger immer schon große Formate (bereits 1971 füllte „Ober-Rabenthan macht eine Wallfahrt“ das ungewöhnliche Format von 100 x 600 cm), nun aber wächst sich die Arbeit „Körper wird Land“, aus vielen bis zu vier Mal bedruckten Blättern zusammengesetzt, zum imposanten Format von 4,7 x 16 Metern aus. Sie wäre noch größer geworden, aber der große Saal im Obergeschoß des Wiener Künstlerhauses ließ nicht mehr zu. Was wie künstlerische Bravour aussieht, ist der große Weltentwurf, dessen Realisierung nur an den Dimensionen der Druckmaschine und der Ausstellungsräume ihre Grenzen findet, und ist Konsequenz aus dem künstlerischen und philosophischen Denken Erich Steiningers: Das Land breitet sich aus, die Krume wird Welt.
Mit seinen Holzschnitten leistet Steininger Beiträge zur Diskussion über das Medium Druckgraphik, indem er die Welt durch Vervielfältigung interpretiert und gestaltet. Steiningers Holzschnitt-Entwicklung verläuft parallel zur rasanten Entwicklung der Computer und der digitalen Bildmedien. Er macht das Drucken und die im Druckvorgang enthaltenen Möglichkeiten zum Thema zu dem Zeitpunkt, als die digitale Drucktechnik auftaucht. Ohne sich näher damit auseinanderzusetzen – der Computer ist ihm ein Rätsel und ein Hassobjekt, er kann nicht mal, hört man aus der Familie, ein Handy ordentlich verwenden – stellt Steininger dem digitalen, mechanischen Druck den elaborierten händischen gegenüber. „Körper wird Land“ ist die holzgeschnittene Antwort auf die neuen digitalen Möglichkeiten, immer größere Bilder in immer neuen Kombinationen zu schaffen. Steininger zeigt, dass dies im Prinzip auch der Holzschnitt kann, dass es nur auf die kreative Nutzung der Mittel ankommt und dass der Rechner nur das kann, was man selbst auch könnte – wenn auch langsamer und weniger exakt.
Steininger ist Druckgraphiker, er arbeitet nach den Gesetzen der Druckgraphik, macht alles selbst, beherrscht alles selbst – durchaus im Sinne des Beherrschens als Kontrolle und Machtausübung. Auch beim Übereinanderdrucken, wo der Zufall eine so große Rolle zu spielen scheint, weiß Steininger sehr genau, was passieren wird, und kalkuliert die Wirkungen, wie zum Beispiel das Entstehen eines zentralen Schwerefeldes, sehr genau ein. Die Vervielfältigung ist Teil des einzelnen Kunstwerkes, durch die Unwägbarkeiten im Druck erhält das vervielfältigte Bild erst recht den Charakter des einzelnen, „originalen“ Bildes.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts führte Steiningers Weg von der Abstraktion zurück zum Gegenstand und zur eigenen Biographie. Zufällig fand er alte Malerwalzen, mit denen in den 1950er Jahren sich permanent wiederholende, biedermeierliche Muster an die Wände gedruckt wurden. Steininger walzt diese Formen auf seine Holzplatten auf und schneidet sie aus, wobei er die Maserung, Risse im Holz und Ungenauigkeiten im Schnitt stehen lässt, um das Unregelmäßige, Lebendige zu betonen. Und es ist eine Ironie auf die österreichischen Ordnungsfanatiker und Beamtenseelen, wenn Steininger über die in der Wirklichkeit der Zimmermaler höchst exakten, auf den Holzschnitten aber doch ungenau druckenden Malerwalzen noch seinen leicht schiefen Raster drüberlegt.
In den jüngsten Arbeiten Steiningers nehmen wieder Figuren und Gliedmaßen, wie wir sie aus den 80er Jahren kennen, den Platz der biedermeierlichen Wandmuster ein: fliegende, hüpfende Menschen bewegen sich in einem nun frei schwingenden Raster ohne Zwangs- und Ordnungsfunktion. In Steiningers aktuellem Weltentwurf bewegt sich der befreite Mensch in einer kosmischen, grenzenlosen Harmonie.
Anmerkungen:
1 Florian Steininger: Exemplarische Positionen. Anmerkungen zum Holzschnitt Erich Steiningers. In: Wiener Kunsthefte. Zeitschrift für Druckgraphik Nr.4/1997, S.7
2 Florian Steininger. In: Erich Steininger. Katalog Künstlerhaus, Gesellschaft bildender Künstler Österreichs. Wien 1999
Die Ausstellung „Erich Steininger: Die Kunst der Linie“ ist im Niederösterreichischen Landesmuseum, St.Pölten, vom 13. Juni bis 5. September 2010 zu besichtigen (Veranstaltungskalender S.30).
Aus: Um:Druck – Zeitschrift für Druckgraphik und visuelle Kultur, Nummer 15, Juli 2010, S.1