„Post no bills“
Nach einer recht langen und manchmal unübersichtlichen Produktionsphase ist der Band mit einiger Verspätung endlich erschienen: Sergius Kodera, Georg Lebzelter (Hg.): „Post no bills“, 132 S., 22,5 x 19 cm, Steidl Verlag, Göttingen 2015.
Trotzdem ( – oder vielleicht deswegen?): sehenswert, lesenswert, beachtenswert. Eine Einführung in das Thema von Sergius Kodera und Georg Lebzelter
Am 24. und 15. Mai 2013 fand im Rahmen der Ausstellung „in.print.out – Grafik in/auswendig“ (Um:Druck Nr.23/2013, S.1 ff.) das internationale Symposium „Das Plakat – zwischen Kunst und Kommerz“ statt. Neben aktueller internationaler Druckgrafik setzte die von Georg Lebzelter und Wojchiech Krzywobłocki zusammengestellte Ausstellung im Wiener Künstlerhaus einen Schwerpunkt im Bereich der Plakatkunst. Gezeigt wurden sowohl historische Blätter aus den Sammlungen der Wienbibliothek, der Höheren Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien sowie des Warschauer Plakatmuseums, als auch aktuelle Plakate aus den Kollektionen der Mährischen Nationalgalerie und der Roten Fabrik in Zürich. Präsentiert wurde weiters die Plakatserie „GELD MACHT SICHT BAR“, die auch auf etwa 1.600 Plakatflächen in Ostösterreich gezeigt wurde. Das Symposium behandelte wichtige Aspekte des oft prekären Verhältnisses von Kunst und Kommerz, von Unikat und optischer Massenware, von autonomer und angewandter gestalterischer Tätigkeit.
Nun erscheint – fast drei Jahre danach – unter dem Titel „Post no bills – Plakatieren verboten!“ eine Publikation im Steidl Verlag, herausgegeben von den Organisatoren des Symposiums, Sergius Kodera und Georg Lebzelter. Das Buch beinhaltet die Mehrzahl der Symposiumsbeiträge sowie eine Dokumentation der Plakatserie „GELD MACHT SICHT BAR“ im öffentlichen Raum. Wie die Ausstellung und das Symposium erhebt auch die Publikation keinerlei Anspruch, einen Gesamtüberblick zur Plakatgeschichte zu geben. Um diesem vielschichtigen Thema gerecht werden zu können, findet man hier allerdings in handlichem Format und überschaubarem Umfang Texte und Bilder, die verschiedene wichtige thematische Aspekte herausgreifen und behandeln.
Die Autorinnen und Autoren stellen wichtige Entwicklungen des Mediums Plakat im Europa des 20. und 21. Jahrhunderts in leicht lesbaren Überblicken dar: in Österreich, Deutschland, der Schweiz, der Tschechischen Republik. Hier sind zunächst die größeren Einführungen und Überblicke von ExpertInnen der Plakatgeschichte (Bernhard Denscher, René Grohnert, Marta Sylvestrova) zu nennen. Sie stehen Seite an Seite mit Werkstattberichten von Plakatgestaltern (Paul Coldwell, Stephan Bundi, Josef Danner, Georg Lebzelter) und Aufsätzen zu Teilaspekten, zum Teil mit umfangreicher wissenschaftlicher Dokumentation (Sergius Kodera, Peter Stasny); last not least ist hier auch ein Beitrag abgedruckt, der stilistisch dem exklamatorischen, dem „lauten“ Charakter des Mediums Plakat wohl am besten gerecht wird, nämlich das Pamphlet (Marek Freudenreich). Diese lebendige Vielfalt der Sprach- und Textformen bildet nicht nur die vielen Facetten des Themas ab, sie erlaubt Zugänge aus verschiedenen Richtungen und von LeserInnen mit unterschiedlicher Kompetenz, auch mit geringen Vorkenntnissen.
Mit einem Wort, dieses Buch empfiehlt sich als Einstieg in die Thematik, denn anhand von signifikanten Fallbeispielen wird nachvollziehbar, wie sich einerseits freie Künstlerinnen und Künstler das Medium als Ausdrucksform aneignen; und wie andererseits herausragende kommerzielle und politische Plakatgestaltungen durch den virtuosen Einsatz formaler Gestaltungsmittel neue visuelle Ausdrucksformen ermöglichen. Sie gehen daher kontinuierlich mit der freien Gestaltung instabile, aber sehr produktive Allianzen ein. Dieses Zusammenspiel hat auch Auswirkungen in Richtungen, die wir zunächst kaum vermuten würden. Zum Beispiel im Bezug auf die vielfältigen Neubestimmungen der Grenzen zwischen Bild und Schrift, ein sowohl in den heutigen Bildwissenschaften als auch in der elektronischen Mediengestaltung immer wichtigeres Aktionsfeld. Diese Themen eröffnen Raum für Auseinandersetzungen mit der gegenwärtigen, von vielen Seiten diagnostizierten „Krise des Plakats“ als Medium. Sie ist maßgeblich durch die wachsende Dominanz elektronisch vermittelter Bild/Text-Kombinationen in unseren Lebenswelten verursacht. Aber das Plakat behält gleichzeitig seine vielgestaltige, widersprüchliche und daher lebendige Charakteristik. Diese Lebendigkeit und Vielfalt findet sich auch in den ganz unterschiedlichen Beiträgen dieses Bandes abgebildet.
Bernhard Denscher: Kunst und Werbung
Der Beitrag von Bernhard Denscher bietet eine leicht lesbare Einführung in die Grundzüge der jüngeren Geschichte des Plakates und verfolgt die vielfältigen Bezugspunkte zwischen Popkunst, Kommerz und Hochkultur als Echo avantgardistischer Kunst. Manchmal, wie Denscher zeigt, fungiert das Plakat geradezu als Wegbereiter neuer Stile und veränderter Auffassung von dem, was als Kunst und was als Kommerz zu gelten hat. Denn waren Historismus, Jugendstil, Expressionismus oder Konstruktivismus noch stilprägend für viele Plakatentwerfer, so entwickelten die Grafikdesigner ab den 1950er Jahren weitgehend eigenständige optische Umsetzungen. Dies hängt einerseits mit der zunehmenden Professionalisierung der Werbebranche, andererseits aber auch mit der immer stärker werdenden Diversität der Kunstrichtungen zusammen. Die visuelle Kraft der Werbung wurde dabei so stark, dass davon wiederum die Kunst, etwa die Pop-Art, beeinflusst wurde.
René Grohnert: Kunst im Plakat?
René Grohnerts Beitrag vertieft diesen Ansatz, indem er die schwierige Balance zwischen künstlerischem Ausdruck und werbender Botschaft thematisiert. Sein Text setzt auch wichtige programmatische Impulse für alle, die sich selbst und aktiv mit Plakatgestaltung auseinandersetzen wollen. Grohnert zeigt nämlich anhand von Fallbeispielen, wie eine treffliche Verbindung zu erzielen ist zwischen dem Schaffen eines Plakats und künstlerischem Anspruch – zwischen Pflicht und Kür, zwischen Kommerz und Kunst. Solche Plakate sind ihrem Charakter nach schnell erfassbar, provozieren Aufmerksamkeit, sind klar in der Aussage und haben weite Ebenen, die sich dem Betrachter erst in der Folge erschließen.
Marek Freudenreich: Kapitalistischer Realismus
Freudenreichs Polemik gegen den Kommerz steht klar auf der Seite der Konsumkritik. Für ihn ist Werbung eine Form der Erziehung zum Kommerz. Sein Postulat: „Handle in einer als Massenkommunikation verstandenen grafischen Gestaltung so, als ob du selbst der Adressat von deren Wirkung wärst. Die grafische Gestaltung ist nicht nur ein Handwerk, sie hat auch die Macht, eine Wirklichkeit zu erschaffen; schaffen wir also keine Wirklichkeit, die wir nicht selbst erfahren möchten.“1 Die aus der Lektüre der Texte von Grohnert und Freudenreich sichtbar werdenden Spannungen stehen bewusst nebeneinander, sie sind ein gutes Beispiele für die Vielfältigkeit der Positionen, die zum Plakat bezogen werden können. Diese beiden Artikel umreißen eines der Spannungsfelder, in dem das Plakat existiert, nämlich zwischen künstlerischem Ausdruck und politisch-kommerziellen Interessen.
Paul Coldwell: Privat und öffentlich
Paul Coldwell ist als Plakatgestalter und Universitätslehrer in London tätig. Sein Beitrag befasst sich mit künstlerischen Zugängen zum Thema, von Warhol über Jospeh Beuys bis in die Gegenwart zu KünstlerInnen wie Felix Gonzalez-Torres, Thomas Kilpper, Annette und Caroline Keirulf. Coldwell bespricht aber auch eigene Arbeiten, die alle die Spannung zwischen Öffentlichem und Privatem, zwischen Kunst und Kommerz mithilfe von sehr verschiedenen, schlauen Strategien visualisieren bzw. ausagieren. Damit unterminieren sie die Grenzen zwischen hoher Kunst und Kommerz. Sein Beitrag ist eine intellektuell anspruchsvolle Präsentation von wichtigen Aspekten der Auseinandersetzung mit dem Kunstplakat der Gegenwart.
Stephan Bundi: Schweizer Plakate
Auch Stephan Bundis kurzer Beitrag nähert sich dem Thema aus der Perspektive des produktiven Zeitzeugen an, denn auch dieser Autor hat selbst entscheidende Impulse in der Entwicklung des schweizerischen Kunstplakates gesetzt.
Lebzelter, Danner: GELD MACHT SICHT BAR
Georg Lebzelter und Josef Danner beschreiben ihr Kunstprojekt „GELD MACHT SICHT BAR“ zum Medium Plakat im öffentlichen Raum. Sie stellten sich die Aufgabe, geprägte und prägende Symbolsysteme von kollektiver Bedeutung und die Frage nach deren Verortung in den gesellschaftlichen Machtstrukturen zu hinterfragen. Und zwar auf großformatigen Plakaten im Außenraum, die auf zahlreichen kommerziellen Plakatflächen neben alltäglicher Werbung affichiert wurden. Die Kombination aus teilweise hintergründiger künstlerischer Kritik an den Mechanismen von Geld, Macht und Sichtbarkeit einerseits und der Positionierung im kommerziellen Umfeld andererseits, ermöglichen vielfältige Denkanstöße. Beteiligt waren die KünstlerInnen Team Ammar Abo Bakr / Aya Tarek (EG), Team Iris Andraschek / Hubert Lobnig (A), Team Josef Danner / Hüseyin Isik (A/TR), Team Lucia Dellefant / Anton Petz (D/A), Julius Deutschbauer (A), Team Stepan Červenka / Georg Lebzelter / Nikolaus Link (CZ/A), Dan Perjovschi (RO), Endi Poskovic (US), Werner Reiterer (A), Klaus Staeck (D), Ingeborg Strobl (A) und Erwin Wurm (A).
Marta Sylvestrová: Tschechische Filmplakate
Der Beitrag von Marta Sylvestrová zu den wechselvollen Geschicken des tschechischen Film(kunst)plakates ist eine faszinierende und breitangelegte Fallstudie, die sich mit dem prekären Verhältnis von Kunst, Freiheit und Politik auseinandersetzt. Die Autorin beschreibt, wie sich in den Jahren relativer politischer Freiheiten vor dem Prager Frühling (1968), mit Duldung der staatlichen Autoritäten der realsozialistischen ČSSR, eine einzigartige Kultur des künstlerischen Filmplakates entwickeln konnte. Sie war ebenso wie die „Neue Welle“ des tschechischen Filmes von kommerziellem Zwang nahezu völlig unabhängig. Die damals tätige junge KünstlerInnengeneration hatte sich lediglich des Wohlwollens einiger – toleranter – Filmbeauftragter zu versichern. Diese kurze, glückvolle Situation verkehrte sich nach dem tragischen Ende der Ära Dubček und dem Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in ihr völliges Gegenteil, um schließlich, nach 1989, mit der Wiedererlangung demokratischer Freiheiten von Hollywood Merchandise in der Gestaltung der Kinowerbung beinahe gänzlich abgelöst zu werden.
Peter Stastny: Bauhaus-Plakate
Peter Stasny beschäftigt sich in seiner kenntnisreichen Detailstudie mit einem anderen historischen Aspekt des Künstlerplakats und seiner werblichen Botschaft: mit Joost Schmidts Beitrag der frühen 1920er Jahre zur Selbstdarstellung des Bauhauses, jener wohl wichtigsten Schule der klassischen Moderne. Ausgehend von der exemplarischen Beschreibung eines Plakates gelingt es Stasny, in den Richtungsstreit innerhalb der Klassischen Moderne nicht nur abstrakt einzuführen. Vielmehr zeigt der Beitrag, wie diese intellektuellen und pragmatischen Spannungen in Joost Schmidts Plakatgestaltung tatsächlich als visuelle Botschaften in Erscheinung treten.
Sergius Kodera: André Kertész
Sergius Kodera beschäftigt sich mit der Frage, wie spezifisch moderne Phänomene und Gestaltungsprinzipien – die Montage, die urbane Phantasmagorie, der innere Monolog, das Unbewusste und mit ihm das Weiterleben archaischer Vorstellungswelten in der Moderne – in den Medien der Zwischenkriegszeit in Erscheinung treten und einander gegenseitig durchdringen. Dieser Artikel untersucht zwei Arbeiten des weltberühmten Photographen André Kertész, die um 1930 in Paris entstanden sind. Es sind Momentaufnahmen, die komplexe Verbindungen zwischen Plakat und Menschen im Raum der Großstadt dokumentieren. Koderas Beitrag zeigt an diesen beiden Photos, wie die künstlerische Wahrnehmung von Plakaten im Stadtraum grundlegende Vorstellungswelten, die bereits zuvor in avantgardistischer Literatur, in der Psychologie und der Kulturwissenschaft thematisiert wurden, nun visualisiert werden können. Vor diesem Hintergrund gehen das Medium Photographie und das Medium Plakat komplexe Allianzen ein, die eine veränderte Wahrnehmung des urbanen Raums dokumentieren.
„Post no bills“ – Plakatieren verboten! –
ist also ein durchaus programmatischer Titel für dieses Buch; denn er weist nachdrücklich auf die komplexen Spannungsfelder hin, in denen das Medium erscheint. Als Träger auffälliger, geradezu aggressiv werberischer Botschaften erzeugt es oft Irritation. Gerade die in solchen emotionalen Reaktionen zum Ausdruck kommende optische Wirkmächtigkeit des Plakates macht es allerdings nicht nur zum Vehikel des Kommerzes; es greift auch oft und in unvorhersehbarer Art in die verschiedenen Räume ein, in denen es zu sehen ist. Und gerade in dieser Eigenschaft wird die Affiche zum Medium, das für künstlerischen Ausdruck prädestiniert ist und das sich aus diesen Interventionen stets neu konfiguriert.