Zeichen Bücher Wissensnetze

Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum in Leipzig wurde neu eröffnet und lädt zu einer Bildungsreise durch die Schrift- und Mediengeschichte, von der Keilschrift zum Binärcode ein. Von Philipp Maurer

Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum in der Nationalbibliothek Leipzig wurde im Jahre 1884 gegründet. Das 125jährige Bestehen feierte das Museum mit der Festschrift „Zeichen Bücher Wissensnetze. 125 Jahre Deutsches Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek.“ Die Neueröffnung der Dauerausstellung „Zeichen Bücher Wissensnetze. Von der Keilschrift zum Binärcode“ im neuen Anbau an das Jugendstil-Gebäude der Deutschen Bibliothek am Deutschen Platz in Leipzig ging sich nicht ganz zum Museums-Jubiläum aus, sondern erfolgte erst heuer am 13. März, am Tag vor der Eröffnung der Leipziger Buchmesse, zum 100jährigen Jubiläum der Deutschen Bibliothek.

Die neue Dauerausstellung präsentiert sich in völlig neuer Ausstellungsarchitektur im gläsernen Erweiterungsbau der Deutschen Bibliothek, der den Schwung des alten Baues aufnimmt und weiterführt. In runden, geschwungenen Vitrinen werden alte Objekte und digitale Monitore vereinigt. Die Ausstellung fasst die Geschichte von Schrift und Buch seit ihren Anfängen überblicksartig zusammen, ohne dabei oberflächlich zu werden.

Die Evolution der schriftlichen Wissensspeicherung und –tradierung von der Keilschrift bis zur Festplatte und die Mediengeschichte der Schriftträger von den Ostraka über die Pergamentrollen bis zum Buch aus Papier sind optisch sehr beeindruckend und eindringlich präsentiert. Für besonders gelungen halte ich die historischen Längsschnitte, die in schmalen Bändern von etwas mehr als zwei Metern Höhe Abläufe übereinander schichten, indem sie zuunterst alte Objekte, darüber Exponate aus dem historischen Verlauf und über Kopf auf einem Monitor die aktuelle digitale Lösung der Aufgaben präsentieren. In dieser Form wird zum Beispiel die Geschichte der Papierproduktion, die Entwicklung der Drucktechnik oder der Schreibwerkzeuge erzählt.

„Das Buch in der Summe seiner Funktionen in den Blick zu nehmen, war und ist das zentrale Anliegen des Deutschen Buch- und Schriftmuseums.“1 Gemäß dieser Absicht präsentiert das Museum Bücher, die öffentlich oder geheim – das Museum zeigt auch Tarnschriften! – Wissen und Information verbreiten und im „Kampf um Köpfe“ und gegen Wissensmonopole eine wesentliche Rolle spielen. Bücher sind Speicherort und Verbreitungsweg von Ideen, wie anhand wichtiger Bücher der Religionsgeschichte – Erstausgaben von Luther- oder Erasmus-Texten –, der Wissenschaftsgeschichte – Erstausgaben von Lexika des 18. Jahrhunderts – und geistreichen, originell und beispielhaft gestalteten und illustrierten Bücher vorgeführt wird und die dazu anregen, das Museum als „Ideenbörse für traditionsbewusste Buchgestaltung“2 zu nutzen. Bücher sind ein aufwändiges Produkt, zu dessen arbeitsteiliger Herstellung vielfältige Techniken vom Drucken bis zum Binden und nahezu unendlich viele Materialien wie Pergament, Papier, Pappe, Leinen, Leder, Stoffe, Farbe material- und buchgerecht dem Zweck, ein schönes Buch herzustellen, dienstbar gemacht werden.

Mit dem Buchdruck wurde die industrielle Massenproduktion und die ihr eigene Ästhetik – dem Design – begründet, die sich grundlegend von früheren Produktions- und Gestaltungsweisen unterscheidet. Denn mit seiner zentralen Erfindung, dem Handgießapparat für Lettern, hat Gutenberg nicht nur das Tempo der Produktion wesentlich erhöht, sondern die Homogenität der Produkte begründet. Nun gab es keine individuell-handschriftlichen Abweichungen vom Standard mehr, und das Design eines Letternsatzes musste sich rechnen, indem es von möglichst vielen Druckern verwendet wurde. „Unser Denken wird von den Funktionsprinzipien des Buchdrucks als dem Urtyp der Industriekultur bestimmt“3.

Das Museum präsentiert in seiner Dauerausstellung auch höchst qualitätvolle Bücher aus der hervorragenden „Sammlung Künstlerischer Drucke“ der Deutschen Nationalbibliothek, die Künstlerbücher und bibliophile Editionen mit hohem künstlerischem und handwerklichem Anspruch, (oftmals) händisch gedruckten Illustrationen und sorgsam ausgewählten Materialien umfasst. Sehr erfreut war ich, als ich auch ein Exemplar des Buches „Unwegsame Gebiete“ des Wiener Buchkünstlers Wolfgang Buchta (siehe Um:Druck Nr. 9/2008, 18/2010) in dieser exklusiven Auswahl fand.

Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum ist architektonisch, institutionell und thematisch Teil der Deutschen Nationalbibliothek, einem der größten Bücherspeicher der Welt, angegliedert. Bibliotheken sind, laut Arnold Gehlen, „das in die Außenwelt verlegte Gehirn der Menschheit“4. Durch die Dauerhaftigkeit des Beschreibstoffes, egal ob es gebrannter Ton, Pergament oder Papier ist, wurden alte Texte, egal ob Homers Ilias oder die Bibel, Teile unseres kollektiven Geschichts- und Kulturbewusstseins. „Solange das materielle Substrat existiert, bleibt das Gesagte bestehen.“5. Dies war die Intention der Erbauer der Deutschen Nationalbibliothek, als sie diesen Satz Schillers an die Fassade schrieben: „Stimme und Körper verleiht die Schrift dem stummen Gedanken / durch der Jahrhunderte Strom trägt ihn das redenden Blatt.“

Das Buch zum 125-Jahr-Jubiläum zeichnet sich durch ein extravagantes Layout aus: es ist ein klassisches Layout von Jan Tschichold, dessen Nachlass das Museum bewahrt, allerdings auf den Kopf gestellt – die Paginierung sitzt oben, die Kolumnentitel unten, der obere Steg ist doppelt so breit wie der untere, die letzten Zeilen jedes Absatzes sitzen rechtsbündig.6. Das ist bei der Lektüre des Buches durchaus irritierend oder verstörend, woraus man erkennen kann, wie sehr wir Layout-Standards gewohnt sind oder, anders gesagt, wie sehr uns ein gutes Layout „natürlich“ vorkommt.

Inhaltlich aber ist das Buch reine Freude: In manchmal sehr persönlich gehaltenen Essays werden die Mediengeschichte des Buches erzählt, Johannes Gutenbergs Erfindung gepriesen, das Buch als Objekt des Kultes, der sakralen oder bibliophilen Verehrung gewürdigt, Entdeckungen von Bücherliebhabern und Bibliotheksdauergästen geschildert, besondere Werke der Sammlung beschrieben, die Geschichte der Buchstadt Leipzig, wo 1481 die erste Druckerei den Betrieb aufnahm und 1650 die erste Tageszeitung der Welt erschien, erzählt, und zuletzt wird selbstverständlich die Zukunft des Buches diskutiert.

Solange es dieses Museum in Leipzig mit seiner gescheiten, sinnlichen, lebensintensiven Präsentation der Bücher gibt, solange über das Buch und seine Geschichte so gescheite und unterhaltsame Bücher wie das vorliegende gemacht werden, mach ich mir keine Sorgen um die Zukunft des Buches.

Anmerkungen:
1 Stephanie Jacobs: Prolog, in: Zeichen Bücher Wissensnetze. 125 Jahre Deutsches Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek, hg.v. Stephanie Jacobs. Wallenstein Verlag, Göttingen 2009, S.15
2 Elmar Faber: „Lauter alter Kram“. Der Zauber des Deutschen Buch- und Schriftmuseums, in: a.a.O., S.63
3 Michael Giesecke: Produktdesign und Bewegungsästhetik. Einflüsse ästhetischer Werte auf die Geschichte grafischer Medien in Europa und Japan, in: a.a.O., S.42
4 Arnold Gehlen, zit nach Gottfried Honnefelder: Von der Tontafel zur E-Mail, in: a.a.O., S.20
5 Gottfried Honnefelder, a.a.O., S.20
6 Vgl. Stephanie Jacobs: Prolog, S.16 (Anm.1)

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