Am Anfang war die Wand
Über die Grafik von Daniel Pfauth aus Anlass der Ausstellung in der Galerie Hochdruck, 1080 Wien. Von Herwig Tachezi
Als ich Daniel 2013 erstmals traf, ahnte ich nicht, wie oft sich unsere Wege bis zum nunmehrigen Höhenpunkt, seiner ersten Soloshow in der Galerie Hochdruck kreuzen sollten. Jan Svenungsson, damals seit Kurzem bestellter Leiter der Abteilung Grafik und Druckgrafik an der Universität für angewandte Kunst in Wien, hatte mir Daniel ans Herz gelegt, als ich anfragte, welcher begabte junge Künstler sich seiner Meinung nach am besten für eine Performance zum einjährigen Bestehen meiner auf Druckgrafik spezialisierten Galerie eignen würde. Seither hat sich die Zusammenarbeit mit Daniel Pfauth in mehrfacher Weise ebenso unkompliziert wie professionell und künstlerisch gewinnbringend gestaltet.
Bei besagter Performance gestaltete Daniel an einer im Empfangsraum prominent platzierten Stellwand einen seiner ersten Wandschnitte. Es handelt sich dabei um eine von ihm erfundene Technik, die er in der Zwischenzeit zu großer Virtuosität, inklusive beträchtlich großer Formate, zu entwickeln und in vielfältiger Weise abzuwandeln verstand.
Beim Grundmuster des Wandschnitts wird auf eine beliebige Wand ein spezielles Gipsgemisch aufgespachtelt und zwar so fein, dass ein nachfolgendes Glätten nicht nur nicht nötig, sondern vom Künstler auch nicht gewünscht wird. Die Oberflächenstrukturen dieses „Druckstockes“ geben dem in die getrocknete Masse geschnittenen Bild beim Abzug, nachdem der Druckstock mit Walzen eingefärbt, ein entsprechend großer Bogen Papier auf die feuchte Farbe aufgebracht und die Farbe per Hand durch gezielten Druck und kreisende Bewegungen ins Papier gerieben wurde, einen äußerst lebhaften Hintergrund – ähnlich, wie dies einige Künstler mit der Betonung der Holzstruktur beim Holzschnitt seit den Tagen Paul Gauguins praktizieren. Wird mit mehr als einer Farbe gearbeitet, entsteht das Bild in der Technik des sogenannten „verlorenen Schnitts“, das heißt, dass nach jedem Abzug von einer Farbe, wobei der Künstler meist von hell nach dunkel arbeitet, am Stock weitergeschnitten wird, bis am Schluss wohl das Bild als Abdruck existiert, vom Stock aber wenig übrig geblieben ist, sodass weitere Drucke des gesamten Bildes später nicht mehr möglich sind. Daniel druckt in dieser Weise entweder kleinste Auflagen (in der Regel drei Exemplare), oder, wie in jüngerer Zeit, in der er sich zunehmend von der Figuration verabschiedet und nur noch die Strukturen der Wand selbst als Bildmotiv benützt, Unikate.
Da nun einmal von nichts auch nichts kommt, kann hier die Vergangenheit von Daniel nicht ganz ausgeblendet werden, zumal die meisten seiner figürlichen Motive diesbezüglich einige Aussagekraft besitzen: Nächtliche Szenen, die von einsamen Vermummten mit (dem Uneingeweihten) schwer deutbaren Gegenständen in Händen bevölkert werden. Zäune, „Yards“ und immer wieder – Züge.
„Der Zug war das einzige Mittel, um aus der Enge des Tannheimer Tals in Tirol zur nächsten Großstadt (also Innsbruck oder München) zu gelangen“. Daniel Pfauth, geboren 1984 in Stuttgart, bezeichnet sich selbst als „Tiroler Schwabokroaten“. Die Mutter stammt aus Kroatien, der Vater war im Alter von zehn Jahren von Hamburg nach Stuttgart gezogen, so wie Daniel zehnjährig mit der Familie von Stuttgart nach Tirol zog, wo er später in Elbigenalb im Lechtal die Fachschule für Vergolder und Schildermaler (jetzt Fachschule für Kunsthandwerk und Design) besuchte. Bereits mit fünfzehn Jahren zog Daniel mit einem auf Illusionsmalerei spezialisierten Maler quer durch Europa, um sich seine ersten Sporen bei Großprojekten in der Wandgestaltung zu verdienen. Danach arbeitete er nicht nur dreieinhalb Jahre am Bau als Maler und Anstreicher, sondern fand auch durch einen Freund Anschluss an die örtliche Graffiti-Szene. Was für eine Ironie! Die immer noch unter Vandalismus-Verdacht stehenden Graffitis werden in der Regel von Malern und Anstreichern wieder übertüncht.
Dass die (meist zeitweise und wie im Falle Daniels auf die Jugend beschränkte) Zugehörigkeit zur Graffiti-Szene, so wie sie sich selbst sieht, wenig mit Zerstörungswut, aber viel mit dem erstmaligen – teils exzessiven – Ausleben von Selbstverwirklichung und entfesselter Kreativität zu tun hat, haben zahlreiche Studien zu jugendlichen Subkulturen bewiesen. Ebenso beweist der oft nahtlose Übergang von Ex-Sprayern in Berufe vor allem auf dem Gebiet der bildenden Kunst, dass ein von der bürgerlichen Gesellschaft mit Argusaugen betrachtetes Ausleben von kreativem Überschuss sehr wohl kanalisiert werden kann.
Bei Daniels ersten Bildern spürt man geradezu physisch die Lust an Gefahr, Abenteuer und Selbsterprobung. Ihnen liegt aber genau dieselbe, sowohl plakative als auch kryptische Stilisierung zugrunde, wie man sie im „Writing“, also dem Anbringen eines stilisierten Codenamens auf öffentlichen Flächen, vorzugsweise Zügen, findet. Besagte Namen sind ja nur für „Insider“ lesbar, aber indem Daniel in seiner Druckgrafik prekäre Momente des Geschehens selbst wiedergibt und nicht das dabei entstehende Produkt, werden wir auf gewisse Weise Mittäter oder – weniger pejorativ ausgedrückt – Mitschaffende. Damit geht der Künstler aber einen weiten Schritt über das im Zusammenhang mit der Graffiti-Szene mitschwingende Thema des Geltungsdrangs hinaus. Er setzt an dessen Stelle ein künstlerisches Problem und lässt uns zu weniger geheimen Kommilitonen werden, als das die Subkultur erforderte. In dieser Kunst geht es erstmals in Daniels Biographie (und seiner Aussage nach ging es ihm bei allem, was er jemals tat, um Kunst und nichts anderes) um gemeinsame Reflexion von Künstler und Betrachter und nicht nur um das Erregen von Aufmerksamkeit innerhalb eines durch strikte Codes definierten Zuschauerkreises.
Am Anfang war die Wand, aber nicht, um gegen sie zu rennen, sondern um mit ihr, wie im Falle der Züge und des darauf angebrachten Namens, weit zu reisen oder – in mehr übertragenem Sinne – weiterzukommen. Von den Wandschnitten mit teils autobiographisch gefärbten Motiven zog es Daniel bald weg zum Thema „Wand an sich“. Waren auch schon im ersten Fall bestimmte Szenen als „Idée fixe“ immer wiedergekehrt, so wird nun die Wand selbst zum einzigen Kontinuum, man könnte fast sagen, zur Obsession.
Eine beim Aufspachteln der Gipsmasse entstandene Oberflächenstruktur lässt beim Abdruck eine schier unbeschränkte Anzahl von Variationen zu. Diese ergeben sich durch verschiedene Kombinationen dreier Parameter: Auswahl und Anzahl der verwendeten Farben, Überdruck der lasierenden wässrigen Farben, um Mischfarben zu erzeugen, und die differenzierte Ausübung des Druckes von Hand auf das Papier, um Farbintensität und Sichtbarkeit der Oberflächenstruktur des Druckstocks zu steuern. Folglich entstehen keine Zustandsdrucke wie in den klassischen Hoch- und Tiefdrucktechniken, wo ein neuer Zustand durch die Veränderung der Druckform definiert wird. Der Unikatcharakter jedes Abzugs von Daniels Wanddrucken ergibt sich dagegen aus einer einmaligen Farbkonstellation und dem unterschiedlichen Hervor- und Zurücktreten bestimmter Stockbereiche, ohne dass dazu der Druckstock verändert werden müsste. Bei einer Weiterentwicklung dieser Technik verwendet der Künstler auch Schablonen zur geometrischen Aufbereitung der Fläche oder schneidet zusätzlich abstrakte Formen in den Stock.
Wenn diese Ausstellung und der aus diesem Anlass erscheinende Katalog schlicht und einfach Prints heißen, dann ist dies im ursprünglichen Sinn des Wortes zu verstehen. Der im Zusammenhang mit Druckgrafik medienhistorisch bedeutsame Umstand, dass Bildideen zur größeren Verbreitung einer relativ unkomplizierten Vervielfältigungsmethode bedurften, lässt sich mit Daniels Arbeit hingegen nicht in Zusammenhang bringen. In ihrer teils archaischen, teils raffinierten Wirkung erinnert sie eher an die klassischen Wandbearbeitungstechniken Fresko und Secco als an Druckgrafik. Dennoch dient das Druckverfahren der Erlangung eines ästhetischen Ergebnisses, das auf keine andere Weise zu erzielen wäre und ist daher im besten Sinne des Wortes originell. Die Wand, Symbolträger par excellence, von den ersten künstlerischen Äußerungen der Menschheit bis zur Berliner Mauer, erfährt bei Daniel Pfauth jedenfalls eine lustvolle und überraschende Neubehandlung.
Adam und Eva
Zu Daniel Pfauths großformatigem Hoözschnitt „Adam und Eva“.
Von Michael Schneider, aus dem Ausstellungskatalog „Alte Meister – Junge Meister“.
Der Wandschnitt A.E. hat im Werk Daniel Pfauths nicht nur wegen seiner – alle anderen Arbeiten übertreffenden – Größe (300 x 150 cm) eine Sonderstellung, sondern auch, weil er als einziger quasi als Auftragsarbeit entstand. Zur Ausstellung „Old Masters – Young Masters“, die 2013/14 in der Galerie Hochdruck stattgefunden hat, wurden von jungen Künstlern Arbeiten als Hommagen zu druckgrafischen Meisterwerken der Vergangenheit angefragt. Daniels Arbeit bezieht sich dabei auf den, für damalige Verhältnisse großen, von acht Platten gedruckten Holzschnitt „Adam und Eva“ von Hans Burgkmair aus 1525. Anders als bei Burgkmair erscheinen Pfauths Adam und Eva „eher wie hominide Vorfahren, die in der Mutter Erde leben“. Daniel Pfauth „schafft trotz der Anlehnung an die Komposition Burgkmairs eine Interpretation der Szene, die die religiöse Ikonographie zurückdrängt, aber eine Atmosphäre von Ursprünglichkeit erhält, indem er auf jegliche moralische Wertung verzichtet“
Daniel Pfauth – Kaijūs
Von Daniel Pfauth
Kaijū (怪獣, wörtlich: „seltsame Bestie“, „rätselhafte Bestie“) ist ein japanischer Begriff, der fremdartige Kreaturen bezeichnet. Die bekannteste von ihnen ist Godzilla, eine riesiges echsenhaftes Wesen, das in zahlreichen Verfilmungen verewigt wurde. Die ersten Kaijū-Filme entstanden 1954, um das Trauma der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zu bewältigen. Die Thematik ist immer dieselbe, ein Kaijū kommt – meist aus dem Meer – und zerstört eine Stadt (zur Steigerung der Dramatik ambesten die Hauptstadt des Landes). Die Spuren, die ein Kaijū in welcher Form auch immer hinterlässt, stellen den Ausgangspunkt für meinen Zyklus dar. Mir imponierte die selbstbewusste und rücksichtslose Art, wie ein Kaijū seinem ungefilterten Geltungsdrang Ausdruck verleiht. Nicht, dass ich es ihm gleich tun wollte, aber ich versuchte, die geballten Kräfte des Kaijūs grafisch sichtbar zu machen. Die einzige Drucktechnik, die dies für mich zuließ, war die Lithographie, der begrenzte Spielraum des Steins, um eigene Katastrophengebiete entstehen zu lassen.
Alle Texte und Abbildungen aus: Daniel Pfauth, Prints. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Galerie Hochdruck, 1080 Wien, Neudeggergasse 8. Der gesamte Katalog unter www.galeriehochdruck.com/Ausstellungen/Pfauth/pfauth_catalogue.html
© der Texte und Abbildungen bei den Autoren