Irene Amberger: Vom Trauern im Sonnenschein

Edition Jugendfrei 15

Vom Trauern im Sonnenschein

Der Betrachter sieht eine Wiese mit bunten Blumen, auf der sich eine blaue Frau räkelt. Die Blumen flüstern der blauen Frau etwas zu. Es muss etwas Trauriges sein, denn der blauen Frau kullert eine Träne die Wange hinunter. ‚Das ist aber eine traurige Geschichte‘, meint die Frau, und die Blumen sagen: ‚Der Mondmann hat es uns erzählt‘“, schreibt die Künstlerin zu ihrem fünffarbigen Siebdruck für unsere Edition Jugendfrei.  

Die heitere Stimmung und die hellen Farben, der Sonnenschein und die gemütliche Lage der Frau auf der Wiese sind also nur scheinbar ein Bild der heilen Welt. Denn eine Träne rinnt aus dem Auge der Frau. Ambivalenz also, einerseits die Freude an der Wiese, den Blumen, den Farben, der Sonne, andererseits doch Gedanken an Leid, Krankheit, Tod. Oder Ängste im Sonnenschein: „Die Angst vor der Angst. Das Bauchgefühl. Sich öffnen können ohne Angst. Angst vor Abweisung. Viele Fragen und doch keine Antworten. Angst vor der Unsicherheit.“ Erzählt Irene Amberger über sich selbst.

Das individuelle Empfinden der jungen Künstlerin äußert sich in einer Bildsprache, die, sei es nun Zufall oder doch so etwas wie das Wirken des Zeitgeistes, gerade jetzt auf Verwandte trifft. Im Belvedere ist zurzeit eine Ausstellung der Präraffaeliten zu sehen, die dazu beiträgt,  Schönheit neu zu definieren und alte Bilder und Symbole des Gefühlsausdrucks neu zu bewerten. Ein schon vorhanden gewesenes, nun aber neu bestimmtes Bild von der Welt soll in Kraft gesetzt werden. Das funktioniert nur, wenn mehrere Komponenten zusammenspielen: Die junge Künstlerin Irene Amberger trägt dazu im Rahmen ihrer Möglichkeiten bei. Aus ihrem privaten Erleben der Welt entwickelt sie zeichnend das Bild einer Frau, deren verkümmerte Beine und Brüste doch ihre Wichtigkeit behaupten, deren Nase nicht dem gültigen Schönheitsideal entspricht, die sich aber doch selbstbewusst in die Luft reckt.

Irene Ambergers Bild erinnert auch an Andy Warhols Siebdruck der vier großflächigen Blumen in vielen Farbvarianten, es erinnert an die Blaue Blume der Romantik, und nicht zuletzt erinnert es an das Franz von Lenbachs Gemälde „Hirtenknabe“, auf dem ein Knabe in der Wiese liegt und träumend an seinem Strohhalm knabbert, das in den 1970er Jahren von der österreichischen Fremdenverkehrswerbung erfolgreich verwendet worden ist, versehen mit dem Satz „In der Wiese liegen und mit der Seele baumeln.“

Die Horizontlinie zwischen der Wiese und dem goldgelben, sonnendurchfluteten Himmel, die Grenze zwischen Oben und Unten, zwischen Schmerz und Freude gehen durch das Auge der Frau. Ihre Wahrnehmung ihrer eigenen Befindlichkeit und der sie umgebenden Wirklichkeit ist bestimmt vom goldenen Himmel, dem Reich der Phantasie, und der farblich sehr lebendigen Realität, der Erde.

Ob es nun ein Selbstbildnis der Künstlerin ist, was man gemäß der These, dass KünstlerInnen immer nur Selbstbildnisse schüfen, annehmen könnte, oder ob es ein Ergebnis der Beobachtung einer anderen Person ist: Eine junge Frau liegt in der Wiese und lässt die Seele trauern. Auch darin liegt ein kleines Glück, ein kleines bisschen Befriedigung.

Philipp Maurer

Irene Amberger, geboren 1989 in Modling, seit 2006 Studium an der wiener kunst schule.

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