Krzywoblocki und Lebzelter – platonisch und repetitiv

Krzywoblocki und Lebzelter – platonisch und repetitiv

Georg Lebzelter und Wojciech Krzywobłocki haben kürzlich gemeinsam in Oldenburg ausgestellt. Beide sind Druckgraphiker, die konsequent ihren Weg verfolgt haben. Beide verbindet der regelmäßige persönliche Umgang im Rahmen einer langjährigen Lehr- und Ausstellungstätigkeit und eine daraus resultierende Freundschaft. Von Sergius Koder

 

Obwohl eine Generation und sehr viele unterschiedliche Erfahrungen zwischen ihnen liegen, obwohl ihre Arbeiten sich deutlich voneinander unterscheiden, ist die handwerkliche Konsequenz von beiden Ansätzen Ergebnis eines ständigen Aufenthalts in der Werkstätte, des unmittelbaren Umgangs mit spezifischen Materialien, der Sensibilität für die sich daraus ergebenden physikalischen Verhältnisse von Form, Farbe, Drucktechnik und Papier. Diese Fähigkeiten werden in verschiedenem Ausmaß selbst Thema der Arbeiten von Georg Lebzelter und Wojciech Krzywobłocki. Am Beginn des 21. Jahrhunderts mit seinen Medienrevolutionen scheint es notwendig geworden zu sein, diese Umstände – die Nähe zum Material, zu handwerklichen Verfahren und der Vermittlung – zu erwähnen, weil es scheint, als wäre solcher künstlerischer Lebensvollzug ungewöhnlich geworden. Vielerorts werden die druckgraphischen Ateliers geschlossen, die Maschinen als Altmetall verschleudert, das angesammelte Wissen über den Umgang mit spezifischen Drucktechniken zerstreut. Das digitale Bild hat nicht nur die Photographie erobert, es marginalisiert auch die anderen bildgebenden Verfahren, und macht so einen Generationenwechsel in der bildenden Kunst sichtbar: so oder ähnlich lautet der allgemeine Befund.

 

Paradigmatischer Wandel also? Der Blick auf die Arbeiten von Georg Lebzelter und Wojciech Krzywobłocki relativiert diese eindimensionale Perspektive: Da ist zunächst die simple Tatsache des beträchtlichen Œuv-res zu nennen, das beide Künstler bisher hervorgebracht haben.

 

Bei Wojciech Krzywobłocki ist es an der Zeit, von einem Lebenswerk zu sprechen, eine Biographie und ein Werkskatalog sind in Arbeit. Der erste Eindruck von Krzywobłockis Bilderwelten ist der einer geradezu unerhörten Räumlichkeit: Meist monochrom, sind die Arbeiten auf Papier der 90er Jahre karg in den gestalterischen Mitteln. Wie wenige andere versteht Krzywobłocki es, die Augen der BetrachterInnen zu zwingen; seine zweidimensionalen Serigraphien sehen aus wie räumliche Objekte und man meint tatsächlich, geometrische Fetzen und Papierschnitzel von der Wand hängen zu sehen. Aber die visuelle Präzision dieser Graphiken bleibt meist im Zweidimensionalen, beliebt auf einem Papier. Bei näherem Hinsehen gliedern sich diese durchkomponierten Flächen in Partikel, die eine „kristalline Struktur“ haben. Ein Begriff, der für Krzywobłocki zentral zu sein scheint, kommt er doch häufig in den (raren) theoretischen Aussagen, die er zu seiner Kunst macht, vor. Diese partikelhafte Feingestaltigkeit der Welt liegt auch der poetischen – und zugleich materialistischen – Vision des Atomismus der Antike zugrunde, wie er schon bei Epikur und vor allem im Epos seines Schülers Lukrez „De rerum natura“ in beispielloser dichterischer Form niedergelegt ist. Die wesentliche Schwierigkeit dieser Philosophenschule bestand darin, die Vielheit der Erscheinungsformen und alle scheinbar geistigen Phänomene der Welt, also deren komplexe, regelhafte Strukturen, lediglich aus dem zufälligen Aufeinanderprallen von Atomen, die durch das bodenlose und infinite Universum fallen, abzuleiten. Als poetische und materialistische Vision eines künstlerischen Kosmos erweist sich dieser Ansatz als enorm plausibel, um alle Phänomene in ihrer Materialität zu visualisieren. Krzywobłocki, durch seinen Vater Alexander, einen der bedeutenden Photographen der Zwischenkriegszeit, einem Vertreter des Surrealismus in seiner polnischen, konstruktivis-tischen Spielart, mit diesem Medium vertraut, nutzt die in der „schwarzen Kammer“ mechanisch erzeugten Bilder als Ausgangsmaterial. Diese Relikte eines Kollisionsvorganges von Photonen und Silberbromid werden in der Folge gerastert, zu neuen Einheiten verdichtet. In solcher künstlerischer Neuorganisation der Materie manifestiert sich die demiurgische Präsenz des Schöpfers in diesem Kosmos, anders als im Lukrezschen Universum bleibt hier nichts dem Zufall überlassen, hier greift Krzywobłocki, ganz platonisch, ordnend und bewusst in die bereits existierende Welt ein. Wieder ganz im Sinne von „De rerum natura“ ist die Annahme, dass Töne und Geräusche durch die verschiedene Beschaffenheit der Mikropartikel verursacht werden – Schrilles durch kantige, Wohlklingendes durch abgerundete Atome. Indem sie diese unsichtbaren Atome visualisiert, vermag die Kunst Krzywobłockis auch den Übergang von sichtbarer in hörbare Gestalt zu visualisieren. Die kristalline, mikroskopische Struktur seiner Arbeiten, ein Rauschen der materiellen Realität gleichsam, muss auch als musikalische Form verstanden werden. Es ist allerdings weder das notorische „weiße Rauschen“ der rückgekoppelten Informationsapparaturen, noch die gestalterische Öde der Binär- oder Hexadezimalcodes, mit denen wir heute alles – Texte, Bilder, Töne – darzustellen vermögen, auf die sich die „sound diagrams“ beziehen, sondern es sind eigenwillige Umsetzungen der Musik Zbigniew Bargielskis. Diese Arbeiten zeigen, wie sich unsere Eindrücke konstruieren, und vergegenwärtigen uns den Umstand, dass diese Sinnesdaten überhaupt erst durch die nachträgliche mentale Konstruktion erschaffen werden.

 

Georg Lebzelter steht in der Mitte seines Schaffens: Die materielle Evidenz und formale Qualität solcher künstlerischen Produktion ist zwar auf der Ebene öffentlicher Wahrnehmung leicht zu übersehen, aber als persönliche Entscheidung und Ausdruck künstlerischer Freiheit absolut legitim und darüber hinaus ein Index dafür, dass solche Lebens-entwürfe keineswegs obsolet geworden sind. Lebzelter ist schon in früher Jugend bei Heinrich Heuer in eine harte Schule der Radierung gegangen, die er in den 80er Jahren an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Maximilian Melcher fortsetzte. Seit seinem Studienabschluss 1990 und einem Aufenthalt an der Kunstakademie in Madrid hat er sich in beständiger Arbeit als Tiefdrucker und Graphiker einen Namen gemacht, der keineswegs nur dem engsten Kreis der Wiener aficionados der schwarzen Kunst bekannt ist.

 

Neben seinem eigenbrötlerischen Tun im Atelier ist Georg Lebzelter auch als Organisator von „International print network“, einer Kooperation von Grafiktriennale Kraków, Horst-Janssen-Museum Oldenburg und Wiener Künstlerhaus (s. Um:Druck 12/09, S.1,3-5) sowie als Redaktionsmitglied und Autor des Um:Druck tätig; die Vermittlung und die daraus resultierende Erweiterung des eigenen Blickwinkels ist ihm also nicht nur in der Lehre ein wichtiges Anliegen. Lebzelter hat hier und in seiner Arbeit den langen Weg vom Figuralen zum Nachdenken über die Technik beschritten. Ausgangspunkt war für ihn die of-fensive Arbeit am und mit dem Material: die phy-sische Verfasstheit der Kupferplatten, der Farben, der Ätzgründe und des Papiers. Von hier aus hat er sich intensiv mit den verschiedenen Erscheinungsformen des immer Gleichen auseinandergesetzt.

 

Mit seinem Zyklus „Strichlagen“ zeigt Lebzelter Arbeiten aus den letzten Jahren, die unter Anwendung einer ungewöhnlichen Tiefdrucktechnik entstanden sind: er druckt von selbst vorgefertigten Kupferplatten in verschiedenen Größen, Formen und Bearbeitungszuständen. Die so auf großformatigem Büttenpapier entstehenden Montagen vervielfältigen in immer neuen Variationen die Einzelteile: das Ganze bleibt stets verschieden. Die so erzeugten Bilderwelten erweisen sich als formal vielfältig und trotzdem optisch kohärent. Jedes Blatt ist ein unwiederholbares Einzelstück, in dem trotzdem eines der wesentlichen gestalterischen Charakteristika der Druckgraphik präsent ist: die Repetition, die das Speichermedium Kupferplatte ermöglicht. Heute ist dieses materielle Bildgedächtnis des Druckstocks nicht mehr unabding-bare Voraussetzung für die identische Reproduktion visueller und sprachlicher Information, denn andere Medien mit viel größerem memory können diese Funktion einfacher erfüllen. Die spezifische Materialität des Tiefdrucks und die mit ihm einhergehenden bildnerischen Produktionsverfahren sind allerdings nicht in die digitale Welt übertragbar. Mit seinen „Strichlagen“ öffnet Lebzelter den Blick für diesen Sachverhalt, indem er sich mit dem Phänomen der Reproduktion von imagines mit den Mitteln der älteren Technik annähert und diese dabei als befreit erscheinen lässt: Von der Last, identische Bilder wiederholen zu müssen.

 

Genehmigter Nachdruck aus: „transfer. Wojciech Krzywoblocki und Georg Lebzelter“, Oldenburg 2010

 

Dr. Sergius Kodera, Dozent für Philosophie an der Universität Wien und der Kunstuniversität Linz, Leiter des Bereichs Kunst- und Kulturwissenschaften an der New Design University, St.Pölten. Letzte Buchpublikation: Giordano Bruno: Cabala del cavallo pegasio. Italienisch und deutsch, Meiner Verlag, Hamburg 2009

 

Die Ausstellung „transfer. Wojciech Krzywoblocki und Georg Lebzelter“ war vom 27. Februar bis 9. April 2010 im Elisabeth-Anna-Palais in Oldenburg zu sehen.

 

Aus: Um:Druck – Zeitschrift für Druckgraphik und visuelle Kultur. Nummer 14, April 2010, S. 19.

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