Maria Sulzer: Sommernachtsträume

Edition Jugendfrei 11

Dieses Blatt unserer Edition Jugendfrei, ein mehrfarbiger Holzdruck, stand am Beginn von Maria Sulzers Diplomarbeit an der Wiener Kunstschule. (Vgl. dazu den Artikel von Sergius Kodera und Georg Lebzelter auf S.10 dieser Nummer.) Es war für Maria Sulzer logisch, die beiden Aufgaben, die Produktion eines einzelnen Blattes für die Edition und einer Serie für das Diplom, zu verbinden. Da sie sich während ihres Studiums vor allem für formale Probleme und die Wirkungen von Farben interessiert hatte, entwickelte sie ihr Konzept, die Verdichtung von Farben und deren Wechselwirkung mit Farbkontrasten zu untersuchen.


Sie entschied sich für einen Holzschnitt, für den sie eine „ererbte“ Vorliebe hat – denn ihr Großvater war Holzschnitzer und daher in seinem Dorf, in dem auch Maria Sulzer aufwuchs, eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Als Kind betrachtete Maria voll Neugier und Bewunderung die Figuren ihres Großvaters. Das Material Holz war ihr durch persönliches Erleben vertraut, denn als Dorfkind hatte sie direkten Kontakt mit Hölzern aller Art. Holz lebt und atmet, erfuhr schon das Kind. Und sie fühlte, dass man in Lebensprozesse eingreift, wenn man in Holz schneidet. Arbeit mit Holz ist eine direkte Verbindung von „Natur“ und „Kultur“ – in Form eines alten Handwerks. Arbeiten mit Holz bedeutet, eine direkte Verbindung zwischen „Natur“ und „Kultur“ herzustellen: die Ausübung des alten Handwerks an dem natürlichen Werkstoff. Intellekt und Wille arbeiten sich unter Verwendung einfachster Gerätschaften ab an einem Naturgegenstand und nützen dessen natürliche Gegebenheiten für den ästhetischen Zweck. Die Maserung und Struktur, Härte und Dichte des Holzes determinieren bis zu einem gewissen Grad die Formen und Strukturen des entstehenden Bildes. Da sich alle Hölzer voneinander unterscheiden, erfordert die künstlerische Entscheidung, welches Holz für welchen Zweck und für welches gewünschte Ergebnis verwendet werden kann, bereits einige Sachkenntnis und Erfahrung. Die Erfahrung mit den Eigenschaften des Holzes machte Maria Sulzer bereits als Kind, als Studierende lotet sie nun die ästhetischen Möglichkeiten aus. Dieser enge Zusammenhang zwischen Material und Bildeigenschaften ist eine Besonderheit des Holzschnittes und zeichnet ihn vor anderen druckgraphischen Techniken aus. Um die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Holzstrukturen deutlicher sichtbar zu machen, reduziert Sulzer die Farbigkeit auf Rot, Blau und Grün (ohne hier auf Varianten zu verzichten!)
Maria Sulzer bearbeitet ihre Druckstöcke mit Messer und Drahtbürste. Die Druckstöcke für die verschiedenen Farben behandelte sie durchaus unterschiedlich, entsprechend den Anforderungen der Farbe, die der Stock drucken soll. Beim Druckstock für zartes Grasgrün, bei dem die verhältnismäßig größte Fläche druckt, wurde die Maserung mit der Drahtbürste stark herausgearbeitet: die deutliche, senkrechte Schraffur von abwechselndem Grün und dem Weiß des Papiers wirkt frisch und leicht, ergibt eine fast schwebende senkrechte Bewegung.
Das dunkle Blaugrün mit waagrechter und senkrechter Schraffur ist dichter und deckender gedruckt, erlaubt den Durchblick auf das Weiß des Papiers nur durch kurze enge „Risse“, erweckt den Eindruck eines dichten, steifen Gewebes. Dichter lagert das Blaugrün im unteren Teil des Blattes massiert, nach oben greifen schlanke, zierliche Formen aus. Das lebhafte, klare Rot in breiter, senkrechter Schraffur bedeckt mit seinen schmalen, lanzettartigen Formen insgesamt die kleinste Fläche des Blattes.
Farben und Formen treten in ein spielerisches Miteinander, mit der Absicht, harmonische, graziöse, fast rokokohafte Eindrücke zu stimulieren. Sie erwecken Ideen von barocken Idyllen und Schäferspielen im englischen Garten, gemahnen an rasche Durchblicke im grünen Labyrinth des sommerlichen Belvedere. Ganz im Sinne barocker Farbigkeit und ebenso im Sinne ihres experimentellen Konzeptes druckte Maria Sulzer die Auflage unseres Blattes in verschiedenen Farbtönungen und -intensitäten. Kein Blatt gleicht dem anderen, jedes hat eine andere Stimmung. So wie kein Park, keine Wiese, kein Gestrüpp einem anderen gleicht.
Abstrakte Farben und Formen lösen in uns emotionale Prozesse aus, wecken spontane Eindrücke,  animieren zur Interpretation: Sommernachtsträume, vorbeischwebende Gestalten, flatternde Schemen tauchen vor dem Blick auf. Aber kaum meint man etwas erkannt zu haben, hat man es schon wieder im lockeren Dickicht der Farben verloren. Fast scheint es ein Vexierbild zu sein und Maria Sulzers Erklärung, die von ihr gewählten Farben seien „ihre“ Frühlingsfarben, gibt der Phantasie Richtung auf Naturerlebnisse. Wir sind also wieder beim Holz!
Philipp Maurer

Geben Sie einen Kommentar ab:

UM:DRUCK

Zeitschrift für Druckgraphik und visuelle Kultur | Journal of printed art and visual culture
Landstraßer Gürtel 17/30
1030 Wien, Österreich / Austria umdruck@tele2.at

Copyright © 2024. UM:DRUCK

 Facebook