Edition Jugendfrei 27
Wir blicken in einen Tunnel, der uns seltsam anmutet: eine in Bau befindliche U-Bahn-Station? Eine zerstörte Station? Der Boden uneben, an den Wänden die Spuren der Bagger und Tunnelbaumaschinen. Trotzdem scheint im Hintergrund ein Zug einzufahren. Eine etwas verstörende Situation.
Die Arbeit für die „Edition Jugendfrei” stammt von Mina Rakidzić, einer Künstlerin aus Belgrad. Wer Belgrad nur als Tourist kennt, weiß: dort gibt’s keine U-Bahn. Doch, sagen die BelgraderInnen, unser „Graben“, eine Station der Linie Beograd – Novi Beograd liegt unter der Erde. Und es gibt unfertige, verlassene Stationen einer einstmals geplanten U-Bahn. In diesen Tunnels studiert Mina Rakidzić die Bauweise, die Proportionen, die Wände, die verrottenden Materialien, die Konstruktionen und Destruktionen. „Aber“, sagt Mina Rakidzić, „man muss von der Belgrader U-Bahn nichts wissen, denn ich zeige zwar eine bestimmte Station, aber eigentlich geht es mir um Licht, Schatten, Dunkelheit, Tiefe, Linien, Atmosphäre. Und mich interessiert eben der Underground.“ Zwar geht es ihr nicht vordergründig um die kulturellen und politischen Konnotationen von „Underground“, aber dass diese von den BetrachterInnen mitgedacht werden, ist ihr schon recht. Denn mit ihren Sujets ist sie sicher ein Teil des Belgrader kulturellen Undergrounds.
Ihr Interesse an seltsamen Gebäuden und dunklen Innenräumen entstand, als Mina Rakidzić in ihren ersten Studienjahren an der Akademie in Belgrad Sujets für ihre Radierungen suchte und den morbiden Charme und die groteske Absurdität von Ruinen, die seit dem Bombardement Belgrads durch die NATO im Jahre 1999 die Innenstadt „schmücken“, entdeckte: verlassene Villen, von denen das Dach und ganze Wände fehlen und in denen ein dunkles Geheimnis zu herrschen scheint, verfallende Häuser, aus deren Fenstern und zerstörten Dachstühlen Bäume wachsen.
In der Beschäftigung mit diesen Sujets analysierte Mina Rakidzić die speziellen Eigenschaften der druckgraphischen Techniken. Sie erkannte, wie die Radierung den Charakter ihrer präzisen und detailreichen Zeichnung betont, wie ihr die Lithographie das subtile Spiel mit Licht und Schatten ermöglicht und wie im Prozess des Zeichnens auf dem Stein Gewicht, Schwerkraft und Bedeutung entstehen. Nun, im fünften Studienjahr, entdeckte Mina Rakidzić den Siebdruck als ihre ideale Technik. Denn im Siebdruck muss sie eine klare Vorstellung der Idee und einen detaillierten Plan entwickeln, bevor sie sich an die Arbeit macht. „Siebdruck ist eine smarte Technik, man braucht einen präzise Vorstellung,“ sagt Mina Rakidzić, „und für die BetrachterInnen muss sich die Idee sofort erschließen“. Auch sie erwähnt, ebenso wie Horst Janssen oder Natalia Weiss (vgl. Seite 1 ff. dieses Um:Drucks), die als lustvoll und spannend empfundene Notwendigkeit, während der Arbeit zwei, drei Schritte vorauszudenken und vorauszuplanen. Dieses konzeptuelle, das visuelle Vorstellungsvermögen extrem fordernde Arbeiten ist für Mina Rakidzić das entscheidende Kriterium, die Druckgraphik der Malerei vorzuziehen.
Der Siebdruck für unsere „Edition Jugendfrei“ ist Teil ihrer Masterarbeit, die Mina Rakidzić gerade vorbereitet. Sie plant, einen der unfertigen U-Bahn-Tunnel mit druckgraphischen Arbeiten auszugestalten und im Tunnel die Charakteristika der verschiedenen druckgraphischen Techniken augenfällig zu machen. Ein sehr engagiertes Vorhaben … druckgraphischer Underground im Untergrund? Wird nicht leicht zu realisieren sein – wir wünschen viel Erfolg! Der Um:Druck wird berichten.
Philipp Maurer
Mina Rakidzić, geboren 1991 in Belgrad. 2013 Abschluss an der Akademie der bildenden Künste, Belgrad, Fach Druckgraphik bei Prof. Biljana Vuković. Nun Masterstudium bei Prof. Vuković. 2013 „Bosko-Karanović-Preis für Druckgraphik“ der Akademie, 2013 und 2015 Preis und Stipendium der Dositeja-Stiftung, 2013 Stipendium der Stadt Belgrad für besondere Leistungen, 2014 Nationales serbisches Stipendium für die Entwicklung von Wissenschaft und Kunst. Teilnahme an Gruppenausstellungen in Serbien und im Ausland.