Robert Sydlik: Matango

Edition Jugendfrei 26

Matango am Rennrad

Schwarzer Druck auf dunkelblauem Papier: fast geheimnisvoll wirkt das Blatt, erweist sich aber bei näherem Hinsehen als realistische Abbildung eines Radrennens im heurigen Sommer. Unter wolkenverhangenem Himmel erkennen wir schwarze Regenschirme, zwischen denen sich der dichte Pulk der Radrennfahrer durchdrängt. Und wir erkennen den heftigen Wind, der den strömenden Regen vor sich her treibt und den tief über die Lenker gebeugten Sportlern ins Gesicht bläst. Eine charakteristische Szene für den Radsport im heurigen Sommer. Auch der Zielsprint der letzten Etappe der heurigen Österreich-Radrundfahrt Anfang Juli auf der Wiener Ringstraße fand im strömenden Regen statt: Sportler und Publikum, darunter ich, waren patschnass.

 

Unsere in Linol geschnittene Regen-Radfahr-Impression stammt von Robert Sydlik, einem Radrennfahrer, der Design studiert, oder: einem Designstudenten, der Radrennen fährt. Ich habe Robert Sydlik im März dieses Jahres am Messestand seiner Krefelder Hochschule auf der Leipziger Buchmesse kennengelernt. Er zeigte Linolschnitte, die mich auf den ersten Blick faszinierten: Radrennfahrer in unterschiedlichen Situationen, aus ungewöhnlichen Perspektiven, schwungvoll ins Bild gesetzt. Robert Sydlik, Jahrgang 1986, in Wuppertal kurz nach seinem Zwillingsbruder geboren, wuchs in einer Radsport-Familie auf. Eltern, Oma, Opa, Tanten, Onkels, Cousins und Cousinen – so sagt er – fahren Radrennen. Nach dem Abi-tur fuhr Robert einige Jahre recht erfolgreich als Profi. Ein Wirtschaftsstudium brach er bald ab, um sich seinem eigentlichen Interesse, dem Design und der Kunst, zuzuwenden. Am Fachbereich Design der Hochschule Niederrhein in Krefeld begeisterte er sich unter der Anleitung von Jochen Stücke fürs Zeichnen und den Linolschnitt.

Jochen Stücke, der mit seinen „Pariser Alben“, die zur Zeit im Van der Heydt-Museum in Wuppertal zu sehen sind, große internationale Erfolge feiert (in Wien wird Jochen Stücke von der Galerie Exner vertreten, siehe auch Um:Druck Nrn. 16/2010, S.1 und 24/2013, S.9), förderte Sydliks Interesse an der gegenständlichen Kunst und am Menschenbild.

Im Linolschnitt für unsere Edition Jugendfrei International fasst Sydlik alles Wichtige in ein einfaches Bildkonzept zusammen: Regen, Sturm, Regenschirme, schemenhafte, trotz des Unwetters dynamisch agierende Radrennfahrer. Zwei formale Charakteristika  bestimmen das Bild: die Regenschirme und die Rücken der Radfahrer erinnern an Pilze, und die Regen-Schraffuren verbinden den Himmel mit den Radfahrern. Die Diagonalen im Bild – der Regen strömt von links oben nach rechts unten, die Radfahrer fahren fast senkrecht diagonal dazu – erzeugen Spannung und barocke Dynamik. Regen und Regenschirme verschwimmen in der Raumtiefe . Eine Tonplatte gibt den helleren Himmel unter den Wolken und ein paar Glanzlichter auf den Helmen und Rücken.

Sydlik beweist, dass es keine Frage der technischen Ausrüstung, eines Computers und digitaler Hilfsmittel ist, um gute, konzentrierte, aussagekräftige und überzeugende Bilder herzustellen. Denn alle Bildelemente sind präzise dargestellt, nichts fehlt, nichts muss hinzugefügt werden: Ein Logo dieses Sommers, der zwar die Schwammerl nahezu sprichwörtlich im Walde sprießen ließ, aber nicht nur für UrlauberInnen und BetreiberInnen von Freibädern eine Katastrophe war, sondern auch für die Radprofis eine Herausforderung. Sydlik stellte sich diesen Härtetests bei Radrennen in Nordrhein-Westfalen, Belgien und den Niederlanden. Dabei kam es zu etlichen „feuchtfröhlichen Regenschlachten“.

Seine Kunst, in der seine sportlichen Interessen dominieren, sieht Sydlik als Ausgleich zur körperlichen Herausforderung. Auch in der Kunst setzt er die Kriterien für einen erfolgreichen Radfahrer, nämlich Kraft, Zähigkeit, Ausdauer, Strategie und überraschende taktische Finten, sowie die Bereitschaft, manchmal auch „Dreck zu fressen“, wie er sagt, ein. Er schneidet und druckt mit großer Kraft, mit bildnerischer Präzision und verfolgt – wenn man seine umfangreiche Serie der Radfahrer überblickt – mit großer Ausdauer, Konsequenz, viel Witz und hintergründigem Schmäh sein Thema.

Und Robert Sydlik eröffnet uns mit einer taktischen Finte „schöne Aussichten“: Der Titel der Arbeit, „Matango“, verweist auf einen surrealistischen Film aus Japan (1963), eine Horror-Fiktion, in der Menschen zu Pilzen, zu „Matangos, the horrible mushrooms“, verwandelt werden, die Menschen attackieren. Sind es bereits die Matangos, die den Pulk der Radfahrer beobachten? Ist vielleicht die einzige Möglichkeit, die Verwandlung in einen giftigen Pilz zu vermeiden, auf Regenschirme zu verzichten und unverzagt, ohne sich um Wind und Wetter zu kümmern, weiterzufahren … ?

Philipp Maurer

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