Sauschädel vierfärbig

Stephan Hilges großes Thema ist der Vierfarbdruck. Im Siebdruck setzt er sich kritisch mit öffentlichen Bildern und ihrer Wahrnehmung auseinander. Zur Ausstellung im Renner-Institut von Philipp Maurer.

Stephan Hilge (www.kunstwaesche.at), in der Schweiz geboren, absolvierte dort eine Schule für Metallbearbeitung und Hochbau, ehe er Bildhauerei an der Universität für angewandte Kunst in Wien in der Klasse von Alfred Hrdlicka studierte und sich auf figurative Steinbildhauerei konzentrierte. Ergänzend erwarb er sich, in den Fußstapfen des Meisters, profunde Kenntnisse der Radiertechnik. Der politische Radier-Zyklus „Bergkristall“ über die Konzentrationslager Mauthausen und Auschwitz, in dem Hilge politische Symbole und Gedichte des Auschwitz-Überlebenden Primo Levi verwendete, wurde international gezeigt, von Havanna bis Moskau.

Für seine Diplomarbeit entdeckte Stephan Hilge den Siebdruck, dessen serielle Wiederholung und farbliche Interpretation von Fotografien seit den 1960er Jahren von der Pop-Art genutzt wird, bekanntes Bildmaterial neu zu formulieren und in neuen Zusammenhang zu stellen. Stephan Hilge schuf in seiner Diplomarbeit Siebdrucke und Malereien nach der Computer-Tomographie eines menschlichen Gehirns, einem Funktionsfoto, das keinen ästhetischen Kriterien folgt, sondern dem Arzt Informationen bereitstellt. Indem Hilge die ornamentalen Windungen des Gehirns auf klare Linien reduzierte, steigerte er die Wiedererkennbarkeit seines Gegenstandes und erhob ihn zur eindeutig erkennbaren grafischen Signatur1. Der Siebdruck erwies sich als ideale Drucktechnik für die in ihren Umrisslinien und Flächen gleichbleibende, aber sich in der Farbe verändernde / entwickelnde Form. Dominant ist Gelb, die helle, leuchtende, frische Lieblingsfarbe Hilges.

In der von mir in den 1990er Jahren verlegten „Edition Druckplatte“ der Kleinen Galerie hat Stephan Hilge unterschiedliche druckgraphische Techniken, nämlich Radierung, Holzschnitt und Siebdruck, in einem zum Zyklus „Bergkristall“ gehörenden Blatt verwendet und drei Motive übereinander gedruckt. Den verschiedenen im Blatt abgebildeten Materialien, nämlich der Bekleidung der Mauthausen-Häftlinge und dem aufgenähten roten Dreieck, ordnete Hilge verschiedene Techniken zu, sodass sich die Materialität in der Druckgraphik widerspiegelt. Stephan Hilge erkannte, dass die angewandte Technik den Inhalt konstituiert und zur sinnlichen Anschauung bringt. „The medium is the message“, formulierte Marshall McLuhan in den 1960er Jahren. Form und Technik sind für Hilge nie Selbstzweck, sondern stehen immer im Dienst der inhaltlichen, gesellschaftspolitisch relevanten Botschaft.

Für weitere Siebdruck-Serien verwendete Hilge Urlaubsschnappschüsse, darunter die Fotos vom Dach eines New Yorker Hochhauses (Serie „City“) und von einem Schweinskopf (Serien „Crybaby“). Ein Schweinskopf ist ein ideales Malermodell, weil er kostengünstiger ist als ein Akt-Modell und sich obendrein nicht bewegt. Den ersten Schweinsschädel erwarb Hilge in einem verregneten Sommer bei einem Fleischhauer in Salzburg. Fortan hatte er immer einen Schädel in der Gefriertruhe im Atelier. Nur zu Dokumentationszwecken fotografierte er den Schädel und befand, als er die Fotos Jahre später durchschaute, um im Computer Speicherplatz freizuräumen, dass die Fotos durchaus gelungen waren – als „Informationsfotos“, als rasch geschossene, nicht inszenierte, nicht auf Wirkung oder modisches Arrangement bedachte Fotos, sondern solche, wo es nur um das Festhalten von Tatsachen geht, auf denen ein Fleck, eine Spiegelung, ein Stützkeil oder ein liegengelassener Handschuh nicht stören. Daraus entstanden Porträtserien der Schweinsköpfe.

Der Siebdruck ermöglicht, durch die Rasterung lebendige Strukturen entstehen zu lassen, farbliche Veränderungen in ganz kleinen Schritten durchzuführen und durch das unterschiedliche Übereinanderdrucken von Farben unterschiedliche Effekte zu erzielen. „Lebendige Strukturen der Farbe, bewegte Muster veranlassen Assoziationen an organische Lebendigkeit. In der Farbe realisiert sich barocke Lebendigkeit und Lebensfreude“2. Drucktechnik und Farbe verwandeln das tote Tier, dessen Auge wegen der BSE-Seuchengefahr ausgestochen worden ist, in ein schillerndes Sujet aktueller Werbeästhetik, in der das Handwerk und die gezielte Wahl der Farbe dominierende Rollen spielen. Form und Inhalt ergänzen einander zum gelungenen visuellen Witz mit untergründig kritischem Potenzial.

Der Mehrfarbendruck mit seinen technischen Möglichkeiten und ästhetischen Wirkungen ist immer wieder das große künstlerische Thema Stephan Hilges. Der Siebdruck, der 1970 noch „als nicht zu den klassischen Drucktechniken gehörig“3, bezeichnet wurde, ist vielfach das geeignete Druckverfahren, um massenwirksame, großformatige und in hoher Auflage produzierte vielfarbige Bilder zu produzieren. Im Siebdruck werden Gegenstände aller Größen, von Suppendosen bis LKW-Planen, bedruckt, seit Andy Warhol ist Siebdruck die Technik der Pop-Art und vieler kritischer Polit-Plakat-KünstlerInnen.

Farbdruck ist ein Desideratum, seit es Druckgraphik gibt. Holzschnitte des 15. Jahrhunderts wurden schon handkoloriert, der Clair-Obscure-Holzschnitt im 16. Jahrhundert arbeitete mit zwei Farben und ihrem Übereinanderdruck, wodurch eine dritte Farbe entstand. Aquatinta und Mezzotinto ermöglichten im 17. Jahrhundert die Mehrfarbigkeit, aber so richtig bunt wurde es erst mit der Lithographie. Um 1900 druckten Poster-, Postkarten und „Öldruck“-Hersteller mit bis zu 20 Farben.

Die entscheidende Erfindung des 19. Jahrhunderts dazu war der Raster, um Halbtonwerte im Druck wiederzugeben. Ab 1900 wird die farbige Erscheinung eines Fotos oder Gemäldes durch optisch und photomechanisch genau geregelte Farbfilter analog definiert, übersetzt = gerastert und gedruckt = reproduziert4. Heute erledigt Photoshop, ebenfalls genau geregelt, dasselbe digital.

Der industrielle Rasterdruck des 19. Jahrhunderts und der Offsetdruck im 20. Jahrhundert arbeiteten mit Farbauszügen und Übereinanderdruck von Rastern, für die sie vier Farben, nämlich Cyan, Magenta und Gelb sowie die „Schlüsselfarbe“ Schwarz, die Farbtiefe schuf, verwendeten. Diese vier Farben „CMYK“ sind bis heute auch im digitalen Druckverfahren die Basis des Mehrfarbdruckes und erschließen uns scheinbar alle Farben des sichtbaren Spektrums. Allerdings zeigen Bildpostkarten des frühen 20. Jahrhunderts, von Lithosteinen gedruckt, Farben, die der heutige Offsetdruck nicht erzielen kann.

Stephan Hilge verwendet nicht die standardisierten Farben des CMYK-Spektrums, sondern mischt und kombiniert die Farben selbst. Damit schließt er an die Litho- und Offsettechniken an, mit denen um 1900 die verblüffendsten Farbeffekte für Plakate, Postkarten und Abziehbilder erzielt wurden. Außerdem nutzt Hilge die Möglichkeiten, die in der digitalen Welt dem Fachmann offenstehen. Heute sind viel weitergehende, massive Eingriffe des „Lithographen“ – so nannte man früher die Fachleute in der Reproanstalt, die die Farbauszüge herstellten – in die Farben und den folgenden Ausdruck möglich. Der geregelte Ablauf kann verändert, „manipuliert“ werden. Das Druckergebnis, d.h. die Qualität der Reproduktion, kann verbessert, gleichzeitig aber auch die Botschaft grundlegend verändert werden.

Stephan Hilges Arbeit ist daher eine das Handwerkliche betonende Gegenhaltung zur apparativen Ästhetik des industriellen, postindustriellen und digitalen Zeitalters5. Aus dem handwerklichen Zugang entwickelt sich der kritische Inhalt der Arbeiten. Wir sehen Bilder, die nicht dem industriellen Standard entsprechen, die uns daher zeigen, was alles in der Abbildung möglich ist, wie sehr Abbildungen einen anderen Charakter als den normierten bekommen können, wie sehr durch die Gestaltungsmöglichkeiten der Farbe die Botschaft und die Stimmung eines Bildes geändert werden können.

Auch diese Möglichkeiten sind in den Farbvariationen Stephan Hilges angedeutet. Seine Porträtserien „Crybaby“ sind Lehrstücke in Bildbetrachtung, sein künstlerisches Erforschen der Bildentstehung und Bildwirkung zeitigt bildwirksame, sinnlich fassbare Ergebnisse: wir sind aufgefordert, die Bilder genau anzusehen, die Unterschiede zu suchen, zu erfassen, zu erkennen, zu deuten: auch auf dem Titelbild dieses Um:Drucks sind die beiden Abbildungen keineswegs ident: die Unterschiede sind zwar gering, aber nicht marginal. Der scheinbar beliebige, vielleicht sogar abschreckende Bildinhalt verweigert sich der Konsum- und Warenästhetik und verweist unsere Wahrnehmung damit umso deutlicher auf die formalen und ästhetischen Kriterien der Bilder. Das Sujet ist nicht wichtig, um die formalen und ästhetischen Strukturen der öffentlichen Bilderwelt zu erkennen. Das künstlerische, sichtbare Forschungsergebnis Stephan Hilges beeinflusst unsere weitere Wahrnehmung der gedruckten Bilder.

Anmerkungen:

1 Vgl. Wolfgang Bandion: Die Farbe Gelb, in: Normal. Stephan Hilge (Ausstellungskatalog), hg.v. Christian Xell, Wien 2006, S.17

2 Paul Mahringer: Auf den zweiten Blick. in: A.a.O, S.9

3 Hans H. Hofstätter: Lithographie und Siebdruck, in: Willi Fischer: Offsetdruck heute. München 1970, S.136

4 Vgl. Ernst Rebel: Druckgraphik. Geschichte, Fachbegriffe. Reclam, Stuttgart 2003, S.116

5 A.a.O., S.186

Die Ausstellung „Stephan Hilge: 4c-Siebdrucke“ ist im Renner-Institut vom 12. Juni bis Ende September zu sehen (Veranstaltungskalender S.30).

Aus: Um:Druck – Zeitschrift für Druckgraphik und visuelle Kultur. Nummer 20, Juli 2012, Seite 1ff.

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