Walter Csuvala: Am Bedeutungsmarkt der Zeichen

Walter Csuvala: Am Bedeutungsmarkt der Zeichen

Der Zeichner und Maler Walter Csuvala hat sich mit Hilfe digitaler Werkzeuge zur Bildherstellung in die Welt der Druckgraphik eingeklinkt. Die Zeichen in seinen Graphiken bilden Reales kürzelhaft ab oder legen Assoziationen an Reales nahe. Das Gespräch mit dem Künstler führte Philipp Maurer.

Philipp Maurer: Du hast Malerei an der Akademie der bildenden Künste am Schillerplatz studiert, hast viele Jahre als Trainer für Gruppenprozesse gearbeitet und dir einen guten Namen als Maler und Zeichner gemacht. Warum nun Druckgraphik, und welche Art von Druckgraphik?

Walter Csuvala: Wenn ich bedenke, wie lange Heinrich Heuer oder Felix Waske, die ich seit meiner Studienzeit kenne, an einer Platte arbeiten, mit welch unendlichem Können und komplizierter Technik sie Details modulieren, kommt mir das, was ich mache, fast wie Strichmandlzeichnen vor. Meine Handzeichnung mit Tuschpinsel scanne ich ein und bearbeite sie mit einem Computerprogramm weiter, sodass aus der Zeichnung einfach und bequem eine Druckgraphik wird. Im Computer kannst du ewig herumprobieren, nie ist etwas verhaut, alles kann rückgängig gemacht werden, während in der Radierung ein weggeätzter Teil weg ist. Ich fühle mich nicht als Druckgraphiker im Sinne eines Radierers mit seiner viel komplexeren Oberflächenbildung. Ich bin hier unsicher in der Wertigkeit, weil es eine gewisse Einfachheit hat. Aber warum soll ich es mir schwer machen?

Philipp Maurer: Anstrengung ist ja nicht unbedingt ein Wert an sich. Bei der Lithographie kann der Künstler direkt am Stein zeichnen und muss nicht den ganzen Prozess der Plattenbearbeitung selbst durchführen, sondern kann ihn dem Drucker / Techniker überlassen.

Walter Csuvala: Da ging es selbstverständlich um Geschwindigkeit und um Marktfähigkeit! Daumier hat heute gezeichnet, morgen erschien die Zeichnung in der Zeitung!

Philipp Maurer: Das digitale Zeitalter ermöglicht einen weiteren Schritt zur Erleichterung der Arbeit. Druckgraphik suchte immer nach technischen Möglichkeiten, schneller und besser Bilder zu vervielfältigen. Schon der Holzschnitt ermöglichte, ein Bild, zum Beispiel das des heiligen Christophorus, schneller und besser mehr Leuten anzubieten. Heute mache ich mit dem Handy ein Foto und verschicke es in alle Welt.

Walter Csuvala: Dieses Foto kann ich auch verfremden und verfälschen. Aber auch das ist keine Erfindung des digitalen Zeitalters, wenn ich an das berühmte Foto denke, auf dem Trotzki neben Lenin stand und dann auf einmal nicht mehr. Aber abgesehen von Fälschungen: auch ein Fotograf verfremdet.

Philipp Maurer: Man kann dem Photoshop also nicht vorwerfen, Fälschungen erst ermöglicht zu haben. Auch die superlangen Beine der heutigen Models aus dem Photoshop sind nicht neu: denken wir an Felicien Rops, an Mucha, an Toulouse-Lautrec und die vielen Jugendstilkünstler, denk auch an die vielen idealen Heiligenfiguren!

Walter Csuvala: Schau dir die manieristischen Frauenfiguren an!

Philipp Maurer: Wir sind also bei der inventio! Deine Pinselzeichnung ist die inventio; sie funktioniert wie die Zeichnung des Holzschneiders auf dem Holzstock, den er dann selbst mit dem Messer, dem Hohleisen schneidet, oder ihn, wie Dürer oder Hokusai, den Schneidern weitergibt. Dadurch wird die Zeichnung zur Matrix, die für die Druckgraphik unabdingbar ist. Du stellst die Matrix digital her.

Walter Csuvala: Entscheidend ist, dass die Zeichnung für sich selbst gut ist. Meine einfache Technik darf nicht zu einer inhaltliche Simplifizierung führen. Im Computer bearbeite ich die Zeichnung weiter: es entstehen Farben und Farbflächen, und ich zeichne mit der Maus weiter, mit der ich so ungeschickt bin, als ob ich mit der falschen Hand zeichnen würde. Diesen Verfremdungseffekt schätze ich sehr! Wenn die Maus-Zeichnung zu gut wird, lösch ich sie wieder raus, aber wenn ich ein bissel danebengehaut habe und es ein bissel anders als geplant geworden ist, hat es eine Chance, dass es bleibt!

Philipp Maurer: Du bestätigst meine Theorie, dass der Druckgraphiker nach dem Entstehen der Zeichnung erst beginnt, das Produkt rational zu durchdenken, bevor er weiterarbeitet.

Walter Csuvala: Es gibt zwei Kriterien: Das erste ist, ob der Strich gut ist? Das zweite ist, ob die Komposition im viereckigen Raum des Bildschirms / der Druckplatte einen guten flächigen Raum selbst schafft. Eine gute Zeichnung ist relativ autonom vom Format des Papiers, auf das sie gezeichnet ist, denn eine gute Zeichnung schafft sich ihre räumliche Dimension selbst. Das ist nicht so bei der Malerei in einem Rahmen oder der Druckplatte, die ihre Räumlichkeiten materiell sichtbar machen.

Philipp Maurer: Was wiederum ein Prozess der Rationalisierung ist!

Walter Csuvala: Selbstverständlich. Denn ich muss überlegen, ob meine Zeichnung in das Format passt. Sobald du vier Ecken hast, werden die Räume anders und man muss, im Gegensatz zur Zeichnung, bis ins letzte Eck denken und Bezüge klarstellen. Die Matrix erfordert also eine aufwändigere Komposition als die Zeichnung. Es gibt ja bedeutend bessere Programme als dieses Paint, ein Kinderprogramm. Ich hab bessere Programme ausprobiert, aber ich habe gesehen, wenn ich mehr Möglichkeiten habe, wird das nicht besser. Wenn ich in den Möglichkeiten so beschränkt bin, muss ich präziser arbeiten und klare Entscheidungen treffen.

Philipp Maurer: Eigentlich bist du ja Landschaftsmaler mit Hang zum Stillleben.

Walter Csuvala: In den Bergen bin ich zuhause. Ich sehe mich durchaus in der Tradition von Dürer, der Romantiker und Landschaftsentdecker, der Bergmaler im 19. und 20. Jahrhundert. Berge sind immer geladen mit Geschichte. Die vielgestaltigen Horizontlinien im Gebirge haben mich immer fasziniert. Die Altvorderen haben in den Konturen immer wieder Figuren gesehen, zum Beispiel die Frau Hitt, schlafende Griechin, Pfaffenstein – es gibt überall Bergformationen, die mit Geschichten aufgeladen sind und Kulminationspunkte lokaler Geschichten sind, eigentlich eine Geschichte, bevor noch Geschichte angefangen hat.

Philipp Maurer: Berge und die Konturlinien der Gipfel haben die Menschen immer fasziniert. Der charakteristische Gipfel des Triglav („Dreikopf“) hat es bis in die Nationalflagge Sloweniens geschafft!

Walter Csuvala: Der Dreiberg taucht auf vielen Wappen auf, er ist ein wichtiges Zeichen in der Heraldik, ist mit Bedeutung beladen. Die Magie der Dreizahl ist ein Sprungbrett der Fantasie! Bei meinen vielen Bergwanderungen habe ich versucht, meine privaten Figuren und Geschichten, mein persönliches Erleben, in den Bergen zu sehen. In dieser fokussierte Wahrnehmung  habe ich individuelle Magie betrieben, habe diese zufälligen Formationen der Erdkruste mit Bedeutung aufgeladen. Es geht um die verdichtete Wahrnehmung als Konzentration auf etwas, das mir gefällt.

Philipp Maurer: Deine Berge erscheinen als Zeichen für Landschaften, die an vielen Orten sein könnten: im Waldviertel, aber auch in den Niederen Tauern oder im Hohen Atlas. Ich finde aber keine Zeichen, die so charakteristisch sind wie zum Beispiel das Matterhorn.

Walter Csuvala: Was passiert, wenn ich einmal markante und bekannte Berge wie das Matterhorn oder den Großglockner einbaue? Berge, die schon Bedeutung in sich tragen, ins Bild einbaue? Mit diesem Gedanken spiele ich schon seit Längerem. Der Betrachter fragt sich vielleicht, was macht da das Matterhorn, vor allem, wenn darüber ein Delphin  fliegt. Ich spiele mit Irritationen, ich baue sie gerne ein.

Philipp Maurer: Deine Landschaften zeichnen sich durch markante Horizontlinien aus.

Walter Csuvala: Der Horizont im Bild gibt eine elementare Sicherheit: Da ist der Horizont, da ist oben und da ist unten, da ist die Grenze zwischen oben und unten. Dieses Grundschema Horizont setze ich durchaus bewusst, nicht nur, weil ich den Betrachtern Sicherheit geben will, sondern weil ich selbst in all der Unsicherheit meiner Zeichen und Geschichten einen fixen Ort im Bild brauche. Hieronymus Bosch nimmt einen hohen Standpunkt ein und schaut auf eine tiefe Horizontlinie hinunter; er hat dadurch die Angst- und Lustfantasien, die wir auf den geografischen ebenso wie den religiösen Himmel beziehen, auf eine imaginäre Erde mit Höhlen, Furchen, Spalten heruntergeholt. Im „Garten der Lüste“ liegen die gefallenen Engel ebenso wie die Teufel im Gras! Die Marinebilder der Holländer, die eigentlich Wolkenbilder sind, haben ganz tiefe Horizonte. Das Eigentliche geschieht in den fantastischen Wolken – dort genießen die Maler die Freiheit, in Farben zu schwelgen, denn im großen Himmel gibt es jede Farbe außer Grasgrün.

Philipp Maurer: Bewegte Himmel finden wir auch in mythologischen Bildern, dem „Ikarus“ von Pieter Bruegel d.Ä., in Ikonen mit der Himmelfahrt des Elias, in barocken Fresken in Kirchen und Klosterbibliotheken.

Walter Csuvala: In den Himmeln spielt es sich immer ab: Da fliegen Menschen, Engel, Götter herum. In meinen Himmel fliegen auch viele Gestalten, die aber vielfach nicht eindeutig sind: Es sind Vögel oder Fische oder Zeichen für irgend etwas anderes. Auch in den Wolken, nicht nur in den Konturen der Berge, sehen Menschen gerne Zeichen: Peter Rossegger beschreibt dies in seinem „Waldbauernbub“, Bertolt Brecht erinnert sich in einem Gedicht zwar nicht mehr an die Frau, mit der er zusammen war, aber an die Wolke, die darüber war.

Philipp Maurer: Deine Berge sind oftmals als Köpfe mit oder ohne Hut, mit oder ohne Augen, mit oder ohne Schnabel lesbar. In vielen Landschaften verwirren den Betrachter einzelne Zeichen. Ich sehe eine chaotische Verstrickung, ineinander verwobene Dinge, ein gewisses Chaos, Nebenwege und Seitengänge, einen Schnabel oder einen Dorn aus einer Landschaft herauswachsen. Damit ich mich mit einem Bild näher beschäftige, muss mich das Bild anziehen, muss mir das Bild das Gefühl geben, es könnte sich lohnen, hinzuschauen. Bei dir ist das die Andeutung, es wird was dahinter sein, es ist ein Rätsel, und eine Lösung gibt es.

Walter Csuvala: Aus den realen Landschaften schauen alte Stromleitungen heraus oder einzelne Gebäude, Schilifte oder eine Sommerrodelbahn. Oder Spuren alter Zivilisationen, eines Bergwerks zum Beispiel. Dann weißt du, dass hier jemand zu irgendeinem Zweck gearbeitet hat. Auf La Gomera erkennst du alte Terrassierungen, wo schon seit vielen Jahren niemand mehr lebt. Du erkennst, wie viele Menschen da im Schweiße ihres Angesichts die Steine so lange umgeschichtet haben, bis die lebensnotwendigen Terrassen entstanden sind. Solche Eindrücke vermischen sich in meinen Arbeiten mit Ideen. Ein Dorn, ein Schnabel, eine geometrisiertes Teil ist für mich das Zeichen für Artefakt. Wenn ich in der Natur bin, fühle ich mich wie ein Forscher, der alte Artefakte findet, die schon wieder Natur geworden sind, alte Pässe und Wege zum Beispiel in den Hohen oder Niederen Tauern, die für die Kühe und Schafe angelegt waren und die für die heutigen Touristen nicht mehr brauchbar sind. Meine Graphikserie „Posthumane Idylle“ zeigt eine Zeit, in der wir alle nicht mehr da sind und unser Zeug trotzdem noch herumliegt; und wir wissen nicht, ob es Archäologen ähnliche Menschen geben wird, die das Alte sichten und sortieren.

Philipp Maurer: Viel alte Artefakte, zum Beispiel der Schwarze Turm in Mödling, werden heute als Natur wahrgenommen. Als Artefakt wird nur Neues wahrgenommen, zum Beispiel ein Windrad oder die Brennertalautobahnbrücke. Zu den Zeichen in deinen Graphiken kann man frei assoziieren und sie als Hinweise auf etwas lesen. Du bist hier durchaus Kind deiner Zeit und schaffst im Sinne der Zeichentheorie Umberto Ecos offene Kunstwerke, mit denen du Reaktionen des Betrachters provozieren willst.

Walter Csuvala: Ich will, dass man erkennt, dass nicht zufällige Zeichen zufällig irgendwo sitzen, sondern dass es im Bild offensichtliche Bedeutungszusammenhänge gibt. Offensichtlich ist aber nicht, welchen Zusammenhang. Es gibt Zeichen, die zu bestimmten Assoziationen verleiten, zum Beispiel ein Auge: wenn das am richtigen Platz ist, ist es ein Auge, an einem anderen Platz eine Brustwarze oder noch etwas anderes. Das Zeichen also bleibt gleich, nicht jedoch der Bedeutungszusammenhang, der von der Umgebung abhängig ist. Ein Zeichen aus drei Strichen, die sich in einem Punkt treffen, bedeutet zunächst gar nichts. Je nach Lage und Zusammenhang kann es ein Schnabel eines Vogels sein, der wiederum Verschiedenes kann: etwas aufpicken oder hin hacken und weh tun. Denk an Hitchcocks „Vögel“! Wenn ich die drei Striche aber senkrecht stelle, denkt jeder an ein weibliches Geschlechtsorgan, wenn ich sie umdrehe, an ein indianisches Tipi. Entscheidend ist das emotionale Echo auf dieses Zeichen. Wenn man sich auf seine Gefühle einlässt, erhält der Code mehr Realität, die durchaus bedrohlich werden kann. Diesen Gefühlsraum kann man aber auch wieder verlassen und darauf zurückgehen, dass es sich ja nur um drei Striche handelt.

Philipp Maurer: Der Betrachter kann sich in deinen Graphiken seine eigene Geschichte erfinden.

Walter Csuvala: Meine Bilder sind Bilderrätsel mit vielen Deutungsmöglichkeiten. Ich lade dazu ein, den Raum meiner Bilder zu betreten und lustvoll nach einer Lösung zu suchen. Was wirklich gemeint ist, weiß ich oft selbst nicht. Der Betrachter hat Raum, Bedeutungen nach eigenen Erfahrungen einzusetzen. Ich will immer die Balance halten zwischen der Verführung zu einer bestimmten Deutung und der Verrätselung, sodass man erkennt, dass die Welt vieldeutig ist. Den Sinn konstruieren wir selbst, indem wir in unseren Deutungen auf die Lernerfahrungen seit unserer Kindheit zurückgehen und Dinge auch in der Kurzform des Piktogramms wiedererkennen – so wie jetzt auf Verkehrsampeln Vorstellungen sexueller Orientierungen mit ganz einfachen Codes provoziert werden. Die Werbung und die Politik nehmen Codes unserer „Alltagsnormalität“ aus ihren Bedeutungszusammenhängen heraus, betonen sie neu und versuchen, über das Unbewusste andere Dinge in den Vordergrund zu rücken und Handlungen zu induzieren. Meine Graphiken legen nahe, dass man auf dem Bedeutungsmarkt, wo mit scheinbaren Realitäten gehandelt wird, nicht alles kaufen sollte, was einem angeboten wird.

Philipp Maurer: Das ist der gesellschaftspolitische Aspekt deiner Graphik, Konstruktionsmechanismen von öffentlichen Bildern sichtbar zu machen. Dazu tragen auch deine Titel, die Teil des Werkes sind, bei.

Walter Csuvala: Ich kann auf ein so verrätseltes und spielerisches Bild nicht einen linearen Titel machen, das wäre eine Banalisierung. Ich spiele gerne mit der Sprache, mit Lautungen, mit den Silben, den Zeichen, den Regeln der Grammatik, versuche mit Assoziationen zu provozieren, wie zum Beispiel mit unserem Ausstellungstitel frag.MENT.e. Ich bin aber kein Literat, auch die Zweizeiler zu meinen jährlichen Kalendern, die die Absurdität mancher Werbesprüche einer bestimmten Partei karikieren bzw. deren inhaltlichen Nonsens klarmachen, sind Teil meiner Malerei.

Philipp Maurer: Die Assoziationen, die du zeichnend hervorrufst, verlangen einen Begriff. Unser rationales Weltbild erfordert, um mit deinen Arbeiten umgehen zu können, dass man den Dingen Namen gibt.

Walter Csuvala: Anders halten wir es nicht aus!

Philipp Maurer: Wenn wir keinen Namen gäben, wäre es der Ausdruck des totalen Desinteresses …

Walter Csuvala: … oder des Eins-Seins. Die abstrakten Expressionisten, Informel und ähnliche Richtungen haben die reine Pinselspur der Bewegung gezeigt, das stellt nichts dar, sondern ist, was es ist. Das ist also die konkreteste Kunst, denn es ist keine Abstraktion von etwas. Sondern es selbst. Die haben sich darauf eingelassen, nur das Material als Aussage für sich stehen zu lassen. Während ich hochliterarisch bin und darüber nachdenke. Nächstes Mal gebe ich den selben Bildern vielleicht einen anderen Titel, denn es hängen andere daneben, die andere Assoziationen nahelegen.

Philipp Maurer: Mit deinen Graphiken verbreitest du deine Botschaft über die Entschlüsselung der Welt und die Codes in der Welt. Den Empfängern deiner Kalender legst du nahe: denk darüber nach …

Walter Csuvala: … oder genieße es. Zerbrich dir nicht den Kopf, spiel damit. Grundlage dieses Spiels ist der Konstruktivismus, eine Erkenntnistheorie, die besagt, dass unsere Weltwahrnehmung und Weltdeutung darauf beruhen, dass die Welt selbst irgendwie ist, wir aber keine Ahnung haben, wie sie „wirklich“ ist. Denn wir haben nur einen sehr schmalen Kanal nach außen, nämlich unsere Sinnesorgane. Eine Fledermaus hört anders, eine Fliege sieht anders. Wir nehmen einen bestimmten Ausschnitt der Welt wahr, dem wir mit eigenen Erinnerungen und erlernten Begriffen Bedeutung verleihen. Wenn man in einem anderen Kulturkreis aufgewachsen ist, hat man andere Vorstellungen. Spannend wird, wie die syrischen Kinder, die jetzt zu uns kommen und die eine andere Tradition erlernt und oft Furchtbares erlebt haben, auf unsere Weltsicht reagieren werden. Der Konstruktivismus weist darauf hin, dass keiner sagen kann, wie die Welt wirklich ist, da wir das nicht wissen, sondern dass wir sie mit Benennungen, Begriffs- und Zeichensystemen konstruieren. Daher kann keiner die Welt endgültig bewerten, wie dies zum Beispiel die Rassisten tun. Jeder muss sich selbst für eine Bedeutung und Weltsicht entscheiden, wofür er dann auch die Verantwortung übernehmen muss. Das ist für religiöse und andere Fundamentalisten, die an ein Konstrukt namens Gott glauben, natürlich eine Horrorgeschichte. Letztendlich müssen wir mit Pater Knjakal aus Fritz von Herzmanovsky-Orlandos Erzählung „Pater Knjakals erbauliche Predigt“ sagen: „Weinet nicht, fromme Gemeinde, firschtliche Gnaden und hoher Adel! Wer weiß, ob’s wahr is …!“

Walter Csuvala, geboren in Wien, Diplom für Malerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien, Ausstellungen in Österreich und international. Lebt und arbeitet in Wien. www.csuvala.at

Die Ausstellung Walter Csuvala, „Frag.MENT.e“ wird im Renner-Institut in 1120 Wien ab 6. Oktober 2015 zu sehen sein. www.renner-institut.at

Aus: Um:Druck Nummer 28, August 2015, Seite 1ff.

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